US-Rückzieher bei Nuklear-Sanktionen

Washington hebt die nach den Atomtests gegen Indien und Pakistan verhängten Sanktionen in unterschiedlichem Maß auf. Auf Indien hatten sich die Sanktionen kaum ausgewirkt, für Pakistan waren sie fatal  ■ Aus Delhi Bernard Imhasly

Die USA haben die Wirtschaftssanktionen gegen Indien und Pakistan zum Großteil aufgehoben, die sie im Anschluß an die Nukleartests beider Länder im Mai verhängt hatten. Diese in Briefen von US-Präsident Clinton an die Premierminister Indiens und Pakistans am Samstag mitgeteilte Entscheidung war erwartet worden, nachdem der US-Kongreß Clinton ermächtigt hatte, wesentliche Teile der gesetzlich vorgeschriebenen Sanktionen auszusetzen. Die US-Regierung begründete den Schritt offiziell mit den „bedeutsamen Fortschritten“, die in Gesprächen mit Indien und Pakistan in der Frage der Begrenzung der Atomrüstung erzielt worden seien. Beide Länder hätten ein Testmoratorium erklärt und seien grundsätzlich bereit, dem Vertrag über ein Atomtestverbot beizutreten sowie einem UN-Abkommen über die Begrenzung der Herstellung von spaltbarem Material.

Aufgehoben wurde jetzt das Verbot der Absicherung von Projekten der amerikanischen Industrie durch die Exim-Bank und die Overseas Private Investment Corporation. Indien soll auch wieder zu militärischen Ausbildungsprogrammen in den USA zugelassen werden, von denen Pakistan aber weiter ausgeschlossen bleibt. Islamabad soll dafür Zugang zu Krediten multilateraler Entwicklungsbanken erhalten. In Clintons Brief an Premier Nawaz Sharif heißt es, die USA würden sich bemühen, daß zwischen Pakistan und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) rasch ein Notprogramm abgeschlossen werden kann. Bereits nächste Woche wird eine IWF-Delegation nach Islamabad reisen. Indien wird nicht in den Genuß dieser Lockerung kommen. Das Außenministerium in Delhi warf Washington darauf vor, eine Günstlingspolitik auf dem Subkontinent zu betreiben und Entwicklungsinstitutionen für politische Zwecke zu mißbrauchen.

Während die Verweigerung multilateraler Finanzspritzen Washingtons hochverschuldeten Alliierten Pakistan an den Rand der Zahlungsunfähigkeit trieben, hatte sie auf die ungleich robustere indische Wirtschaft praktisch keine Wirkung. Statt einem vorausgesagten Schaden von 20 Milliarden Dollar für Indien wird dieser nun auf höchstens eine Milliarde geschätzt und muß zudem von US- Unternehmen mitgetragen werden. Auf Druck der Farm-Lobby hatte der US-Kongreß bereits im Juli den Verkauf von Getreide im Wert von 300 Mio. Dollar an Pakistan bewilligt. In Delhi hofft man, daß auch bald die Kreditsperren von Weltbank und Asiatischer Entwicklungsbank für indische Infrastrukturprojekte aufgehoben werden. Weiter bestehen bleibt das Verbot von Waffenverkäufen an beide Staaten.

Die partielle Aufhebung der US-Sanktionen dürfte auch die Politik Japans und der europäischen Länder beeinflußen. Bereits vor einer Woche nahm Japans Entwicklungsfonds OECF eine selektive Finanzierungstätigkeit in Indien wieder auf. Kommende Woche werden Vertreter der EU-Troika in Delhi erwartet. Großbritannien, das im Juni den EU-Vorsitz innehatte, hatte sich damals vergeblich für umfassende EU-Sanktionen stark gemacht. Darauf verfolgte jedes EU-Mitglied seine eigene Politik, die von Großbritanniens Härte über Deutschlands Zurückhaltung bis zum offenen Entgegenkommen Frankreichs reichte.