Für den Hünen von Bonn ein kraftloser Tribut

■ Ein seltsam beiläufiger Abschied widerfährt Helmut Kohl auf dem CDU-Parteitag. Der Altbundeskanzler hält sich selbst eine Laudatio, die Ausrufezeichen im Manuskript spricht er nicht mit

„Herzlichen Dank. Vergelt's Gott, lieber Helmut Kohl.“ Das war's dann also. Norbert Blüm, der den Altbundeskanzler als einziger Politiker dessen gesamte Amtszeit hindurch als Minister begleitet hat, spricht die Worte, mit denen auf dem CDU-Parteitag in Bonn eine Ära endgültig zu Ende geht. Noch einmal folgen für Helmut Kohl stehende Ovationen der Delegierten, die in minutenlanges rhythmisches Klatschen übergehen. Aber dennoch bleibt der Tribut merkwürdig kraftlos.

Vielleicht hat es in den letzten Wochen zu viele Abschiede gegeben, als daß dieser letzte noch bewegend hätte sein können. Vielleicht war auch der Beifall allzu vorhersehbar gewesen. Am Ende verebbt er jedenfalls seltsam beiläufig. Es war keiner der großen Augenblicke in der Geschichte der CDU. Das Scheiden von Helmut Kohl ist am Schluß nicht mehr als ein Punkt auf der Tagesordnung. Abgehakt. Zum Ehrenvorsitzenden auf Lebenszeit wird er dann noch gewählt, ebenso wie einst seine Vorgänger im Amt des Regierungschefs.

Die Rede, die er unmittelbar zuvor gehalten hat, ist weniger ein Vermächtnis als eine Laudatio auf sich selbst. „Wir übergeben ein wohlgeordnetes Haus“, sagt er und macht eine kurze Pause. Da kommt dann der Beifall, den Kohl Sekundenbruchteile früher erwartet haben mag.

Er erinnert an seine größten Erfolge. Die europäische Integration habe „doch für eine blanke Utopie“ gegolten. „Jetzt ist sie Realität europäischer Politik.“ Die deutsche Einheit: „Es ist und bleibt einer der glücklichsten Augenblicke in der Geschichte der Deutschen.“ Wer offenen Auges durch die neuen Länder fahre, der sehe die Fortschritte. „Es gibt sie. Das ist die Wahrheit.“ Hier wird spürbar, daß ihn der Spott über die noch immer nicht blühenden Landschaften verletzt hat. 36 Jahre lang sei die Union in der Bundesrepublik Deutschland an der Regierung beteiligt gewesen. „Das waren 36 gute Jahre für Deutschland und Europa.“ Im Manuskript steht an dieser Stelle ein Ausrufezeichen. Helmut Kohl spricht es nicht mit. Seine Stimme klingt wehmütig.

Ein Vierteljahrhundert war er Vorsitzender der CDU. Jetzt muß er zum ersten Mal keine Rücksicht mehr auf taktische Überlegungen nehmen. Modische Begriffsbildungen wie „Berliner Republik“ lehne er „ganz entschieden“ ab. Er habe für den Umzug nach Berlin gestimmt, „aber nicht für den Umzug in eine andere Republik.“ Es braucht Kohl nicht zu kümmern, daß seine Partei derzeit mit Sozialdemokraten und Grünen im Wettstreit um die Deutungshoheit für diesen Begriff liegt. Er darf sich Kontroversen verweigern, die nicht mehr die seinen sind.

Versöhnlich ist die Abschiedsrede von Helmut Kohl dennoch. Er habe viele Entscheidungen treffen müssen. „Natürlich habe ich dabei auch Fehler gemacht.“ Derzeit sei Dankbarkeit das Gefühl, das ihn am stärksten bewege. Wichtigen Weggefährten dankt er namentlich, auch solchen, mit denen er sich erbitterte Kämpfe geliefert hat. Genannt werden alle Generalsekretäre seiner Amtszeit: Kurt Biedenkopf. Heiner Geißler, Volker Rühe und Peter Hintze. Beim Namen Geißler brandet spontaner Beifall auf. Er wird wohl beiden gelten, dem Genannten ebenso wie dem, der ihn nennt.

In Fragen der künftigen Gestaltung von Politik hält Helmut Kohl sich auffallend zurück. Nur so viel: Die CDU beruhe auf christlich-sozialen, liberal-freiheitlichen und wertkonservativen Überzeugungen. „Wer eine dieser Säulen wegbrechen lassen will, zerstört die Partei.“

Er sei „ganz besonders froh“, daß Wolfgang Schäuble heute für den Parteivorsitz kandidiere, sagt Helmut Kohl. Und er verspricht: „Ich selbst werde helfen, wann immer man mich fragt, und wo ich helfen kann.“ In diesem Augenblick scheint er zu ahnen, daß er wohl nicht mehr so oft gefragt werden wird. Bettina Gaus