9. November 1938: Die Nationalsozialisten plündern jüdische Geschäfte, brennen Synagogen nieder. Sechzig Jahre nach der Reichspogromnacht wird in Dresden wieder eine Synagoge erbaut – die erste in Ostdeutschland seit Ende des Krieges Aus Dresden Nick Reimer

Dresdens neues Gotteshaus

Die Erde, in die heute der Spaten auf dem Dresdner Hasenberg sticht, ist verbrannt: Vor 60 Jahren stürmten Dresdner die jüdische Synagoge, die dort stand. Sie rollten die Läufer zusammen, lehnten sie ans Gestühl, gossen Benzin darüber und zündeten sie an. Die Synagoge brannte vollständig aus. Den Dresdnern galt das als „fremde“ Erde, die da glühte.

Wie „eigene“ verbrannte Erde riecht, erfuhren sie erst später. Am 13. und 14. Februar vernichteten anglo-amerikanische Bomber die gesamte Innenstadt. Noch heute kämpfen die Dresdner gegen die Wunden des Angriffs: Keine 500 Meter Luftlinie vom Hasenberg entfernt wird mit gigantischem Aufwand die Frauenkirche wieder aufgebaut – das wohl prägendste Gebäude der Stadt.

„Nächste Haltestelle: Synagoge“, sagt die Lautsprecherstimme. Hält die Straßenbahn dann an der Carolabrücke, ist außer Wiesen, Straßen und Elbe nichts zu sehen. Das wird sich jetzt ändern: Mit dem symbolischen Spatenstich beginnt heute auf dem Hasenberg der Neubau der Dresdner Synagoge. Dresden bekommt seine zweite Sakral-Großbaustelle.

Allerdings könnten die beiden Projekte ungleicher nicht sein: Während mittlerweile die Mehrheit der Dresdner mit Portemonnaie und Seele den Frauenkirchen- Bau unterstützt, wissen die wenigsten, wo genau die Synagoge stand. Und während das evangelische Gotteshaus originalgetreu wieder aufgebaut wird, werden auch künftig an die alte Synagoge nur wenige Fotos erinnern.

Sachsens König Johann hatte in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts bei den Ständekammern durchgesetzt, daß Dresdens Juden ein eigenes Gotteshaus bekommen. Er erreichte sogar gegen Widerstand, das dieses nicht an der Peripherie, sondern im Zentrum gebaut wird. Die Juden konnten den berühmten Baumeister Gottfried Semper für ihr Projekt gewinnen. 1840 war die Semper-Synagoge fertig. Bis zu 6.000 Juden fanden in ihr Platz. Sie sollte Sempers einziges Kirchenbauwerk bleiben.

Schon kurz nach der Brandnacht 1938 ließen die Nazis die Ruine abtragen. Die Steine wurden im Straßenbau der Dresdner Innenstadt eingesetzt, die Abrißkosten hatte die jüdische Gemeinde zu tragen. Weil die Juden gezwungen wurden, alle Kultgegenstände aus der Synagoge abzugeben, blieb nichts vom einstigen Semperbau übrig – außer einem Davidstern, den ein Feuerwehrmann vor den Nazis versteckte.

Deshalb entschied sich die jüdische Gemeinde, einen Wettbewerb für einen modernen Kirchenneubau auszuloben. 180 Architekten weltweit beteiligten sich. Gebaut wird jetzt nach dem Entwurf des Saarbrücker Büros Wandel, Hoefer, Lorch. Nach diesem entstehen zwei Gebäude auf dem 120 Meter langen Grundstück, das die Stadt vergangenen Freitag der Gemeinde schenkte: Die 23 Meter hohe fensterlose Synagoge wird ein gläsernes Dach bekommen, die Außenmauern verdrehen sich leicht in Richtung Osten.

Das Volumen der Synagoge wird in der Dresdner Silhouette seinen Platz beanspruchen. Vis- à-vis entsteht ein zehn Meter hohes Gemeindezentrum mit einer gläsernen Front – das eine völlig neue Eingangssituation am Dresdner Altstadtring schafft. „Schon diese wird symbolisieren, daß wir einen Ort des Austauschs der Kulturen wollen“, sagt Jan Post, Sprecher des Fördervereins „Bau der Synagoge“. Auf der Freifläche zwischen den beiden Gebäuden entsteht ein Mikwe – das rituelle Tauchbad der Juden – das von Bäumen umgeben wird. In drei Jahren, am 9. November 2001, soll die Synagoge geweiht werden.

Ob dieser Termin zu halten ist, scheint fraglich. Denn auch finanziell könnte der Unterschied der beiden Kirchenbaustellen Dresdens kaum größer ausfallen. Das Projekt am Hasenberg ist mit 20 Millionen Mark fast dreizehn Mal billiger als die Frauenkirche. Dennoch ist die Finanzierung der Synagoge ungesichert. Zwar versprachen Stadt und Land, jeweils fünf Millionen Mark beizusteuern. Woher die andere Hälfte kommen soll, ist aber völlig ungewiß.

Vier Millionen Mark will der Förderverein „Bau der Synagoge“ durch Benefiz und Spenden aufbringen. Während der Förderverein der Frauenkirche bislang über 160 Millionen Mark Spendengelder aus der ganzen Welt einsammeln konnte, tröpfelte beim Synagogen-Förderverein das Geld nur spärlich. „Wir haben im ersten Jahr 600.000 Mark bekommen“, sagt Post, ein holländischer Jude, der 1996 nach Dresden zog. Fast 80.000 Mark kamen allein von der evangelischen und katholischen Kirche.

Jan Post weiß, daß es schwer ist, die Dresdner Spendenbereitschaft jetzt auch noch für einen Synagogen-Neubau zu gewinnen. Er will nicht soweit gehen, den Dresdnern eine kleine Chance zur Wiedergutmachung vorzurechnen. „Ich bin aber optimistisch, daß wir das Geld zusammenbekommen“, sagt Post. Doch selbst wenn es dem Förderverein gelingt, die Vier-Millionen- Mark-Hürde zu überspringen, hilft Optimismus nicht viel: In der Kasse bleibt dann noch ein sechs Millionen Mark großes Loch.