Bei den beschaulichen Lübecker Filmtagen sorgten Lars von Trier und seine Dogma-Kollegen für Wirbel Von Frank Keil

eit nunmehr 40 Jahren präsentieren die Lübecker Filmtage Ungewohntes aus dem hohen Norden. Die Festivalatmosphäre ist dabei stets nett und konfliktarm; von Skandalen, Eklats, verletztenden Eitelkeiten keine Spur. Das familiäre skandinavische Du zeigt offenbar seine Wirkung auf uns steife Norddeutsche, wie man sich einig weiß, daß man nur hier in einer seltenen Fülle kleine Geschichten vor großartigen Landschaften genießen kann, die zu selten in unsere Kinos gelangen.

Lübeck zeigt aber auch Jahr für Jahr die Schwierigkeiten des ambitionierten Filmens auf. Auch oberhalb von Flensburg sind Filmfördergelder knapp geworden, ist das Publikum nicht unbeeinflußt geblieben vom US-Mainstream. Was ist zu tun? Weiterhin dem Sperrigen vertrauen? Sich neuen Bedürfnissen öffnen? Stärker auf Superstars setzen?

Ein Spagat bietet sich an, der nicht immer gelingt. Das gilt etwa für den mit vielen Erwartungen gespickten, neuen Film von Bent Hamer, der mit Eggs einst einen spröden Kultfilm zauberte. Ein Tag mehr in der Sonne über einen norwegischen Seemann, der in einem spanischen Hafen hängenbleibt, ist dagegen ein unentschlossenes Sammelsurium aus Lovestory und Selbstfindungs-Epos, trotz zuweilen poetischer Bilder. Gleiches gilt für die dänisch-grönländische Produktion Heart Of Light von Jacob Gronlykke über einen entwurzelten Inuit, der in der Wildnis seinen wahren Herrn und Meister findet. Der Komödienversuch Perlen und Säue von Oskar Jonasson beläßt es gar dabei, schrullige Isländerinnen mit Dildos auszustaffieren.

Da sorgten – wie auch schon auf dem Filmfest Hamburg – die ersten beiden Produktionen der dänischen Filmgruppe Dogma für ein regelrechtes Feuerwerk. Deren Regeln: Keine Kostüme, keine Requisiten! Kein künstliches Licht! Keine Nachsynchronisation! Gefilmt wird nur das, was da ist. Schickte Thomas Vinterberg das Publikum in Das Fest (Dogma 1) auf ein Geburtstagsfest, bei dem alles, was sich an dunklen Familiengeheimnissen angesammelt hat, schmerzhaft offenbart wird, ließ Lars von Trier in Idioten (Dogma 2) eine Gruppe von Jungmenschen einen auf geistig behindert mimen und so der sich liberal gebärdenden Gesellschaft den Spiegel vorhalten. Es waren vor allem die visuelle Umsetzung, die grobkörnigen Bilder, das zusammenfallende Licht und das ungeschönte Agieren der Schauspieler, das heftige Reaktionen hervorriefen. Mancher verließ ob der taumelnden Kameraführung von Schwindel geplagt vorzeitig die Vorstellung; andere saßen noch Stunden später im Kinositz fest. Ging Idioten leer aus, wurde Das Fest mit Preisen förmlich einegdeckt. So gab es den Baltischen Filmpreis, den Preis der kirchlichen Jury plus den Preis des Lübecker Publikums. Ein Hoffnungszeichen, daß auf dieses noch Verlaß ist.

Im nächsten Jahr wird hoffentlich Sören Kragh-Jacobsens Dogma 3 Produktion Mifune's last chant die Diskussion über selbstauferlegte Askese und die in ihr angelegte Kraft zu mutigen Bildern erneut entfachen. Wer so lange nicht warten will, für den zeigt das Abaton heute in einer einmaligen Vorstellung einen früheren Film Kragh-Jacobsens: Insel in der Vogelstraße. Ein ebenfalls preisgekröntes Werk über einen jüdischen Jungen, der zusammen mit seiner zahmen Maus im Warschauer Ghetto ums Überleben kämpft.

„Die Insel der Vogelstraße“: heute, 20 Uhr, Abaton