Spurensuche im Kinderbuch

■ Ausstellung: Jüdisches Kinderleben im Spiegel jüdischer Kinderbücher

Oldenburg. Zwischen zwei Kontinenten „schwimmt“ ein Buch. Das Exlibris (Namenszeichen) von Enrique Magnus, der vor seiner Emigration nach Südamerika vermutlich Heinz Magnus hieß, symbolisiert das Schicksal der meisten der 420 Exponate, die seit Sonntag im Oldenburger Stadtmuseum in der Ausstellung „Jüdisches Kinderleben im Spiegel jüdischer Kinderbücher“ gezeigt werden. Die von der Universitätsbibliothek Oldenburg betreute wissenschaftliche Ausstellung setzt die Tradition fort, im Rahmen der Oldenburger Kinder- und Jugendbuchmesse (Kibum) neue Forschungsergebnisse aus der Lebenswelt der Kinder und ihrer Literatur vorzustellen.

Deutsch-jüdische Kinder- und Jugendbücher aus zwei Jahrhunderten – von der Zeit der Aufklärung bis 1938 – dienten der Spurensuche mit dem Ziel, ein Stück fast zerstörter und vergessener Kulturgeschichte wieder aufzuzeigen. Grundlage des ehrgeizigen Projektes war die in aller Welt erworbene Sammlung, die Charles Barry Hyams zu seinen Lebzeiten geheimgehalten hatte. Öffentlich bekannt wurde Hyams, den seine in Bremen als Pädagogikprofessorin lehrende Witwe Helge-Ulrike Hyams als „assimilierten Londoner Juden“ bezeichnet, durch das gemeinsam mit ihr Ende der 70er Jahre gegründete Marburger Kind-heitsmuseum.

Nach dem Tod ihres Mannes 1993 machte Helge-Ulrike Hyams die in Europa einzigartige Sammlung im kleinen Rahmen des Kindheitsmuseums öffentlich zugänglich. Hyams ist auch – zusammen mit den Oldenburger Erziehungswissenschaftlern Klaus Klattenhoff und Friedrich Wißmann sowie dem Bibliothekar Klaus Ritter – Herausgeberin des Katalogs zur Ausstellung (475 Seiten, zahlreiche Illustrationen, 50 Mark). 24 Autoren stellen ihre aus den Büchern gewonnenen Rückschlüsse vor. Außer der Sammlung Hyams standen Einzelleihgaben von 50 Bibliotheken zur Verfügung.

Jude, Deutscher und Weltbürger zugleich zu sein, das sollten die jüdischen Kinder aus ihren Büchern lernen. Religion, Brauchtum und Geschichte waren Schwerpunkte der oft auffällig schön illustrierten Bände, in denen die hebräische zunehmend von der deutschen Sprache verdrängt wurde. Das älteste ausgestellte Buch – als bibliophile Kostbarkeit darf es den Zeitrahmen der Forschungen sprengen – ist eine hebräische Pessach-Haggadah aus dem Jahr 1667. Eines der letzten Bücher, das 1938 im Jüdischen Buchverlag Berlin erscheinen durfte, war der „Philo“-Atlas. Als „Handbuch für jüdische Auswanderer“ gab er Tips für das Leben in fernen Ländern. Im Jüdischen Kinderkalender 1928 heißt es über das als Menetekel erscheinende Hakenkreuz: „Vor diesem Zeichen sei dir bang, / Denn es bedeutet Untergang.“

Die aus der Emigration zurückgeholten Bücher werden nach der Oldenburger Ausstellung (bis 6. Dezember) wieder auf Weltreise gehen. Bis jetzt stehen Kanada, Argentinien und Israel auf der Route. Vielleicht, so macht sich Helge-Ulrike Hyams Hoffnung, wird es dann Ausstellungsbesucher geben, die sich an Enrique Magnus oder einen anderen der in vielen Büchern verzeichneten Namen und die dazu gehörenden Emigranten-Schicksale erinnern – und darüber zu erzählen bereit sind. Karin Güthlein, dpa