Thesen aus Rohstoff meißeln

Verehrt und kritisiert: Die Kunsthistorikerin Svetlana Alpers spricht heute im Otto-Braun-Saal der Staatsbibliothek über ein verschwiegenes Thema der Malerei  ■ Von Ulf Erdmann Ziegler

Daß die Gemäldegalerie in Dahlem so lange vor sich hin schlummerte, war ein seltsames Privileg für den Besucher. Man konnte den Bildern gewissermaßen persönlich guten Tag sagen, konnte sich mühelos einbilden, Teil ihrer Geschichte zu sein. Als die Gemälde in Dahlem abgehängt und am Kulturforum noch nicht wieder aufgehängt worden waren, war für einen Moment der Zusammenhang gerissen: Die physische Begegnung mit den Bildern kann nicht ersetzt werden durch ihre kunsthistorische Lektüre. Dann zeigten sich die Bilder im neuen Gebäude wie neu, die Leute kommen nun in Scharen, und man sieht schon eine frische Ära der Deutung heraufziehen.

So paßt es gut, daß das Einstein Forum Svetlana Alpers aus Berkeley eingeladen hat, um in der Vortragsreihe „Erbschaft der Zeit“ zu sprechen: Alpers ist eine ungewöhnliche, äußerst inspirierte Kunsthistorikerin, die ihre Thesen nie aus den Fußnoten der anderen klaut, sondern in intensiven Bildstudien und Textvergleichen aus dem Rohstoff meißelt. Ihre Originalität hat ihr eine Menge Feindschaften eingebracht.

Sie hat zwei grundlegende Bücher über holländische Kunst geschrieben: „Die Kunst der Beschreibung“ (1985) und „Rembrandt als Unternehmer (Sein Atelier und sein Markt)“ (1989). Dennoch wäre es nicht ganz richtig, sie als Spezialistin zu bezeichnen, denn ihre gründliche Schulung in der Renaissance war es, die sie darauf brachte, daß die frühbürgerlichen Stoffe und künstlerischen Techniken flämischer und holländischer Maler in ihrer Essenz verkannt worden waren. Sie glaubte, die Deutung der Kunst nördlich der Alpen sei in der Evaluierung einer gepflegten, überschaubaren Weltdeutung stehengeblieben, so, als hätten die Holländer eine kleine Renaissance unter der Maßgabe nachgestellt, daß „weniger mehr“ sei; ein Verlust an metaphorischer Kraft.

Alpers sah überhaupt keinen Verlust an Kraft, sondern eine Umschichtung der Kräfte am Werk. Sie drang tief ein in den Kontext des 17. Jahrhunderts, das geprägt war von empirischen Wissenschaften, beginnend beim menschlichen Auge und nicht endend beim Globus. Plaziert vor dieser Art systematischer Welterfahrung, deutete sie die Malerei Jan van Eycks, Pieter Saenredams, Gerard Terborchs und Jan Vermeers als Teil einer „Kunst der Beschreibung“, in der die Welt als wirklich gesehene (und nicht mehr angelesene) ausgiebig und zum Teil listig gefeiert wird. Zwei große Brocken waren ihr dabei übriggeblieben: Rembrandt und Rubens. Über Rembrandt schrieb sie ein Buch, das sich mit dem Modus seiner Produktion auseinandersetzte: einem gigantischen Atelier, in dem Erfindung und Kopie, Auftrag und freie Arbeit, Modellstehen und Theaterspiel aufs seltsamste zueinandergestellt und vertauscht wurden. Vor drei Jahren folgte dann die Studie „The Making of Rubens“, die einigen sehr fleischlichen Motiven ins Detail folgte und sich über die französische Rezeption wundert, in der Rubens als „weiblich“ beschrieben wird, im Gegensatz zu Poussin.

Svetlana Alpers erarbeitet sich weitgreifende politische und sozialgeschichtliche Raster, um die Arbeit der Maler in ihrer Zeit einzuordnen. Das Interessante an ihrem Verfahren jedoch ist, daß sie nie die Kunst für eine These instrumentalisiert, sondern im Zweifelsfall immer den Bildern folgt. Es mag daran liegen, daß sie in der großen Zeit des amerikanischen „abstrakten Expressionismus“ erwachsen wurde und Clement Greenbergs Deutung des malerischen Akts die stärkste Figur zeitgenössischen Denkens über Kunst darstellte.

Alpers versetzt sich tatsächlich in Maler hinein, vermißt ihre Optionen, ihre Abhängigkeit, ihre Freiheit. Sie gibt dem Zuhörer oder Leser das Gefühl, in die Entstehung verstrickt zu sein. Ihre weit ausgreifende theoretische Methodik weist anderseits dem sensuellen Ereignis seinen Platz an. Ihre Generalversuche über holländische Kunst sind übrigens in der niederländischen Forschung nicht auf Gegenliebe gestoßen, haben aber in der Fachliteratur Denkanstöße in nahezu sämtliche Richtungen gegeben; einige Präzisionen in der Gender-Debatte eingeschlossen.

Mit Siebenmeilenstiefeln unterwegs durch sämtliche Fettnäpfchen, berührt Alpers auch in ihrem Vortrag heute abend ein heikles Kapitel, nämlich die Aussparung kriegerischer Motive in der Malerei vor 1648, die von religiösen und militärischen Auseinandersetzungen geprägt war: „Painting out of conflict“, nennt sie, die Ambivalenz betonend, das ästhetische Prinzip holländischer und flämischer Malerei.

Zuletzt sah man Alpers ebenfalls im Otto-Braun-Saal, als sie Carlo Ginzburgs „Guernica“-Interpretation auseinandernahm. Ihr Gesprächspartner heute wird der Marburger Kunsthistoriker Wolfgang Kemp sein. Ein Krieg ist nicht zu erwarten; eine Schein-Debatte aber auch nicht. (Alpers versteht übrigens auf deutsch gestellte Fragen.)

Svetlana Alpers bleibt für einen weiteren Tag, um im Einstein Forum, Potsdam, ein Seminar über Velázquez anzubieten, womit sie zum Kriegsgegner Hollands überläuft: Spanien. Gleichzeitig wechselt sie von der Verteidigung „innovativer Wiederholung“ zu Spekulationen über die piktoriale Einzigartigkeit. So bringt sie den altehrwürdigen Gegensatz von Genre- und Historienmalerei auf ihre Weise erneut ins Spiel.

Svetlana Alpers, Professor Emerita der University of California in Berkeley. Vortrag: „Painting out of Conflict: Dutch Art in the Seventeenth Century“ (mit Simultanübersetzung über Kopfhörer), heute, Dienstag, um 19 Uhr, Otto- Braun-Saal der Staatsbibliothek

Seminar: „Velázquez' Las Hilanderas (Die Spinnerinnen): Singularity and its Discontents“. Einstein Forum, Potsdam, Am Neuen Markt 7, Mittwoch, 11.11., 10 Uhr