Nachwahlen statt Neuwahlen

■ Die Große Koalition einigte sich auf ein "Restarbeitsprogramm" bis zu den Wahlen im Herbst 1999. Nachwahl von drei SenatorInnen gesichert. Die SPD hat kein Konzept für den Wechsel

Kein Wort mehr von Neuwahlen in Berlin. Nach der Sitzung des Koalitionsausschusses verkündeten SPD-Fraktionschef Klaus Böger und CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky am Sonntag abend, daß sie die Große Koalition bis zum Ende der Legislaturperiode im Herbst 1999 fortsetzen wollen. Die Nachwahl für die drei vakanten Posten im Senat werde am Donnerstag im Parlament glatt über die Bühne gehen.

Die CDU hat den früheren Staatssekretär des Innenministeriums, Eckart Werthebach, als Innensenator nominiert. In die Fußstapfen des scheidenden Wirtschaftssenators Elmar Pieroth (CDU) tritt sein Staatssekretär Wolfgang Branoner (CDU). Die SPD hat mit der Abgeordneten Gabriele Schöttler eine Hinterbänklerin aus dem Ostteil der Stadt als Arbeitssenatorin nominiert. Den Neuen im Senat bleibt ein knappes Jahr, um Akzente zu setzen – genaugenommen nur ein halbes Jahr, denn was nicht vor der parlamentarischen Sommerpause im Juni unter Dach und Fach ist, wird bis zur Wahl nicht mehr verabschiedet.

So wollte die SPD mit dem Koalitionspartner für die verbleibende Zeit ein straffes Arbeitsprogramm festlegen – und hatte vorsorglich die Peitsche gezückt: Falls man sich nicht einigen werde, drohte SPD-Fraktionschef Klaus Böger, stehe die Koalition zur Disposition. Der Haken an der Sache: Nur mit den Stimmen der CDU reicht es für die notwendige Zweidrittelmehrheit, mit der das Parlament vorgezogene Neuwahlen beschließen kann. Doch die CDU hat nach der verheerenden Niederlage bei der Bundestagswahl kein Interesse an Neuwahlen. So hätten diese allenfalls erzwungen werden können, wenn die SPD die CDU- Senatoren hätte durchfallen lassen und ein Rumpf-Senat nicht mehr handlungsfähig gewesen wäre. Doch das wäre in der Öffentlichkeit schwer zu vermitteln gewesen.

Mit der Drohung hatte die SPD die Meßlatte für den Koalitionsausschuß hoch gelegt, doch gemessen daran fiel das Ergebnis der dreieinhalbstündigen Beratungen mager aus. Vereinbart wurden lediglich Zielvorstellungen: Bis zum Frühjahr soll ein regionales Bündnis für Arbeit und Ausbildung stehen, ebenso ein Konzept zur Umstrukturierung der Krankenhäuser und ein Reformkonzept für die defizitäre U-Bahn – Strukturprojekte, die überfällig sind. Eine konkrete Lösung für die Nahverkehrsbetriebe soll ein Runder Tisch beraten, an dem Gewerkschaften, Verkehrsbetriebe, Senatsverwaltungen und Koalitionsfraktionen sitzen. Für die Krankenhausreform wird ein Beirat gebildet. Verständigt haben sich die Koalitionspartner auch auf ein noch nicht näher definiertes „Aktionsprogramm“ für Stadtviertel, in denen sich soziale Probleme ballen.

Die wirklich kniffligen Fragen blieben ausgespart: Die strittigen Haushaltsfragen sollen in einer weiteren Runde Ende November geklärt werden. Die CDU hatte die Einführung des polizeilichen Todesschusses und die Videoüberwachung von Plätzen gefordert – beides stößt auf den entschiedenen Widerstand der SPD und wurde vertagt. Die Ergebnisse des Koalitionsausschusses gleichen eher einem „Nichtangriffspakt“ als einem Regierungsprogramm für die nächsten Monate, spottete die PDS-Fraktion.

In der Frage des Transrapid erwies sich, wie sehr die SPD in der Großen Koalition gefangen ist. Unisono wetterten Böger und Landowsky, daß die Referenzstrecke der Magnetschwebebahn nicht nach Nordrhein-Westfalen vergeben werden dürfe.

Die SPD hat kein Konzept für den Wechsel in Berlin. Seit eineinhalb Jahren machen die Sozialdemokraten kein Hehl mehr daraus, daß sie nach der nächsten Wahl ein rot-grünes Bündnis anstreben. Doch die Gratwanderung, als Teil einer Großen Koalition Kompromisse mit der CDU zu schließen und zugleich zu signalisieren, daß die Zukunft in einem rot-grünen Reformbündnis liegt, ist der SPD bislang nicht überzeugend geglückt. Aber wie will man WählerInnen mobilisieren, wenn nicht klar ist, was sich mit Rot-Grün ändert? Die Felder, auf denen Rot- Grün eine andere Politik machen würde, sind klar: Im Gegensatz zu dem autofixierten CDU-Verkehrssenator würde Rot-Grün den öffentlichen Nahverkehr stärken. In der Schulpolitik würde Rot- Grün stärkere Autonomie und eigenständiges Profil der Schulen anstreben. Statt Elitenförderung wäre eine breite Qualitätsverbesserung des Schulsystems das Ziel. Migrantenpolitisch wäre ein klares Signal für Integration zu erwarten.

Doch für welche konkreten Projekte Rot-Grün steht, darauf ist die SPD bislang eine Antwort schuldig geblieben. Dabei hatten die Grünen im Frühjahr konkrete Reformprojekte vorgelegt und die SPD zu Gesprächen eingeladen. Passiert ist nichts. Nicht einmal nach der Wahl der rot-grünen Bundesregierung ist in Berlin ein Hauch von Aufbruchstimmung zu spüren. Noch ist ein rot-grünes Bündnis über das Wunschstadium nicht hinausgediehen. Dorothee Winden