Pappel in der Morgendämmerung

Eintracht Frankfurts Stürmer Chen Yang ist der erste chinesische Fußballer in der Bundesliga und sieht sich als Vorreiter für weitere kickende Landsleute  ■ Von Bernd Seib und Klaus Teichmann

„Rund ist der Ball, viereckig das Land“ (Li Yu, chinesischer Philosoph)

Selbst in der RTL-Quiz-Show Jeopardy mußte Chen Yang für die Rubrik „Exoten-Bundesliga“ herhalten. Die Sphären China und Fußball zusammenzubringen, fiel beim ersten chinesischen Kicker in der Bundesliga schwer, gab es hierzulande doch höchstens den Bezug zu Paul Breitner, der in den frühen Siebzigern einmal mit einer chinesischen Zeitung vor einem Mao- Poster posierte. Chen Yang (24) will das ändern.

„Die Eintracht wird noch viel Spaß an diesem Spieler haben“, meint jedenfalls Christoph Daum über den Mittelstürmer der Frankfurter Eintracht, die morgen gegen Freiburg, spätestens aber am Samstag beim HSV wohl ihr vorläufig letztes Match mit dem Chinesen bestreiten kann. Am Wochenende reist Yang zu den Asienspielen, um dort seiner Nationalmannschaft zu Toren zu verhelfen. Daum weiß bestens Bescheid über die Qualitäten des Eintracht-Angreifers, hat der Trainer von Bayer Leverkusen doch vor wenigen Wochen einige Nerven wegen des Fernost-Imports verloren. Beim Gastspiel des Meisterschaftsfavoriten hatte Chen Yang das bis dato letzte seiner drei Bundesligatore erzielt. An der Mittellinie wurde er angespielt – mit dem Ball am Fuß lief er alleine auf den Keeper zu und schob den Ball genau im richtigen Moment am herausstürmenden Torwart vorbei.

„Ein fairer Spieler“ sei Yang, „noch nicht so abgebrüht“, meint jener Herr Daum weiter, der immerhin den zwicken-, beißen-, stoßenden Ulf Kirsten auf Weltklasse trimmte. Tatsächlich fehlt Chen Yang im Strafraumgewühl noch ein bißchen. Überhaupt ist es schon ein wenig verwunderlich, daß sein auf taktische Disziplin sehr bedachter Fußballehrer den 1,85 Meter großen Angreifer immer wieder aufstellt, zuletzt 76 Minuten beim 2:2 in Rostock. Auch da lief Chen immer wieder ins gegnerische Abseits. Eintracht-Trainer Horst Ehrmantraut hält jedoch einiges von seinem Schützling: „Spielpraxis“ benötige Yang nur noch, dann sei er „ein fast perfekter Spieler“. Und in der Tat: Von Spiel zu Spiel kommt der technisch versierte und torgefährliche Angreifer besser zurecht, auch wenn sein Spiel derzeit hauptsächlich von seiner Schnelligkeit lebt. Die Abstimmung mit den Mitspielern funktioniert indes nicht immer.

Mit Interviews und Statements hält sich der Chinese zurück. Neben der Sprachbarriere mag hier die sprichwörtliche asiatische Zurückhaltung als Erklärung dienen. Chen Yang büffelt zwar fleißig Deutsch, dennoch bleibt Dolmetscher Wang erst einmal unersetzlich. Der ist ständig dabei – auf dem Trainingsplatz und auf der Trainerbank. Wenn Wang einmal verhindert ist, wird es gleich eng. Beim Auswärtsspiel in Berlin mußte Wang seinem Schützling die Taktik telefonisch ins Olympiastadion durchgeben – Yangs Führungstreffer gab jedoch auch dieser etwas nonkonformistisch anmutenden Herangehensweise recht.

Wenn er sich doch einmal äußert, treiben die Klischees muntere Blüten: „Jedes Spiel ist so wichtig wie ein Krieg“, soll er nach dem Remis in Gladbach gesagt haben. Da hatte er zum ersten Mal für die Eintracht getroffen. Ein Tor aus gut 30 Metern. Den Militarismus- Vorwurf sollte man jedoch nicht vorschnell an ihn richten. In einer Kultur, in der Fußballer nicht Ronaldo oder Matthäus, sondern „Pappel in der frischen Morgendämmerung“, so die wörtliche Übersetzung seines Namens, heißen, mögen solche Aussagen anders zu gewichten sein.

Die Eintracht lieh Chen Yang für 70.000 Mark mit anschließender Kaufoption zunächst für ein Jahr von Guoan Peking aus. Sein Transfer ist dem Trainer Klaus Schlappner zu verdanken. Schlappner, ehemals NPD-Kandidat und passionierter Jäger, verfügt über exzellente Kontakte zum chinesischen Fußball, seit er in China Nationalcoach war. Schlappner betreute einst bei Darmstadt 98 mit Chens Landsmann Guangming Gu den ersten chinesischen Fußballer im bundesdeutschen Profifußball.

Chens Vorbild ist jedoch ein anderer: Bum Kun Cha. Dieser ist inzwischen als Trainer in China tätig und stürmte früher für Eintracht Frankfurt. Bei Ehrmantraut, mit dem sich der Kreis dann wieder schließt, hat Cha Bum offenbar bleibenden Eindruck hinterlassen. Der jetzige Eintracht-Coach, damals mit Cha Bum sporadisch als linker Verteidiger im selben Team, fühlt sich durch Chen Yang jedenfalls stark an den Koreaner erinnert, von dem er noch heute schwärmt: „Als Cha sich damals gedehnt hat, haben alle hingeschaut: diese Muskeln, diese Sehnen, das war Ästhetik pur.“

Bei Yang schauen mittlerweile auch schon eine ganze Menge, was aus seinem „Traum, sich in der Bundesliga durchzusetzen“, geworden ist. Kamerateams aus China trifft man neuerdings im Waldstadion, und nach Bundesligaspielen bitten chinesische Journalisten die Trainer um einen Extrakommentar zu Yang. In China kommen die gezeigten Bilder offenbar gut an. Zum Leidwesen der Eintracht, die wegen des Nationalmannschaftsdebüts ihrer Neuerwerbung bei den Asienspielen für fünf Bundesligabegegnungen auf Chen Yang verzichten muß. Dieser sieht sich durchaus als Vorreiter. „Eine persönliche Niederlage“ wäre für ihn ein Scheitern in Frankfurt. „Es wäre ein Verlust für den chinesischen Fußball. Anderen Spielern, die besser sind als ich, würde die Chance verbaut, in die Bundesliga zu wechseln.“