Alles, was möglich ist

Seit einer Woche soll ausgerechnet Leo Kirchs Bezahl-TV neue Lebenssäfte durch einen neuen Sexkanal bekommen – mit dem Segen bayerischer Medienwächter  ■ Von Stefan Kuzmany

Samstag abend auf DF 1, dem Bezahlfernsehen von Leo Kirch: Neckisch wird ein weibliches Gesäß auf den Bildschirm geschwenkt. Dazu ertönt, stereo und in digitaler Qualität, eine dunkle Frauenstimme aus dem Lautsprecher: „Soll ich meinen Slip ausziehen? Tu' ich aber nicht. Du darfst nur meinen Po sehen.“ Nikolaus von der Decken, Sprecher von DF 1, formuliert die Möglichkeiten und Grenzen des neuen Kanals etwas anders: „Wir wollen das machen, was im deutschen Fernsehen möglich ist.“

Neuerdings ist so einiges möglich im deutschen Fernsehen, was man zuvor nicht für möglich hielt: daß etwa der katholische Fernsehherr Leo Kirch, der schon mal Chefredakteure wegen zuviel Toleranz in Religionsdingen feuern lassen will, etwas macht, was sein Sprecher noch vor zwei Jahren als unvereinbar mit der Geschäftspolitik des Hauses bezeichnet hatte; daß die Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM), die zuweilen in enger Abstimmung mit der CSU-Landesregierung agiert und aus deren Medienrat noch im Frühjahr die große Schmuddel- TV-Debatte angefacht worden war –, daß also ebendiese BLM Kirchs neue Möglichkeiten unbürokratisch schnell und ohne großes Getöse genehmigt – wo sie doch noch vor zwei Jahren die eine Berliner Genehmigung zweier für „jugendschutzunbedenklich“ erklärter Sexkanäle gekippt hatte.

„Intime Bekenntnisse“ mit bayerischem Segen flimmern so seit einer Woche täglich ab 22.30 Uhr über den neuen Sexfilmkanal Blue Channel auf DF 1. Das schon für komplett gescheitert erklärte Bezahlfernsehangebot bedarf immer noch dringend neuer Lebenssäfte. So gibt es nun „Hard Bodies“ und noch etwas später „Hard Talk“, wo die Schauspieler so schöne Namen tragen wie „Melanie Moore“. Gegen vier Uhr früh wird der erschöpfte Betrachter dann ins Bett entlassen. Für 14 Mark (bzw. 20 Mark ohne DF 1-Paket) verspricht die DF 1-Programmzeitschrift „erotische Nächte“ – gerade jetzt im November, „wenn es draußen kalt wird“, ein „ebenso prickelndes wie spannendes Programm für Er- wachsene“.

Hinter dem PR-Gewinde verbirgt sich ein kurioser Spagat: Einerseits möchte man mit dem neuen Kanal Kunden locken, die sich primär für offen gefilmte Geschlechtsakte interessieren. Andererseits dürfen eben diese auch digital verschlüsselt nicht explizit gezeigt werden. In „enger Zusammenarbeit mit der FSF“ (so von der Decken), der „freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen“ unter Zuhilfenahme einer eigenen Jugendschutzbeauftragten (zu beidem ist der Sender verpflichtet), zeigt der Blue Channel dabei zum größten Teil Filme eben der Machart, wie sie Anfang der Neunziger bereits das private Free-TV überschwemmten. „Emanuelle“ kehrt in allen (Körper-)Teilen wieder, und wer sie nicht schon dreihundertmal gesehen hat, kann im „Playmate-Kalender“ unter anderem Pamela Anderson nackt betrachten. Nach Mitternacht beschreiten die Unterföhringer neue Pfade der Unterhaltung, dabei immer auf einem schmalen Grat – zwischen Porno und Langeweile wandelnd.

Pornographie ist entgegen der landläufigen Meinung nach den Richtlinien der Fernsehanbieter nur Sex, der sich isoliert von anderen menschlichen Beziehungen vollzieht. Wenn, wie zum Beispiel im Film „Hard Talk“, zwischendurch einmal telefoniert wird und dabei herauskommt, daß Patricia Probleme in ihrer Ehe hat, ist das eigentlich kein Porno mehr.

Was an „prickelnder Erotik“ übrigbleibt, wenn man zudem die Sache an sich nicht zeigen darf, wirkt auf den erwachsenen Betrachter manchmal unfreiwillig komisch. Denn es sind durchaus Pornos, die uns DF 1 ins Haus bringen möchte – allerdings geschnittene und damit ihrer Essenz beraubte „Cable Versions“.

Beim Verkehr sind in der Hauptsache lustverzerrte Gesichter zu sehen, vor die primären Geschlechtsteile schiebt sich unaufdringlich eine Zimmerpflanze. Ein anderes Mal, als offenbar keine Zimmerpflanze zur Hand war, sind die eindeutigen Szenen einfach herausgenommen worden – ohne Rücksicht auf die Tonspur. Im Gegensatz zu den desperaten Arbeitslosen in „Ganz oder gar nicht“, einer englischen Männerstrip-Komödie, die gerade im DF 1-Spielfilmangebot läuft, muß sich das deutsche Pay-TV auf eine halbgare Show beschränken. Wird das den Konsumenten nicht zu langweilig? Schließlich müßten die nur zur Videothek um die Ecke laufen, um sich, unter Inkaufnahme leichter Peinlichkeiten, mit mehr zu versorgen. „Das neue Programm wird von unseren Kunden sehr gut angenommen“, behauptet dennoch der DF 1-Mann – und schweigt sich über genaue Zahlen aus.

Überhaupt scheint es, als sei den Machern von DF 1 der ganze Rummel um ihre Erotiksparte etwas peinlich. Auf der Pressekonfe- renz zur Programmumgestaltung von DF 1 wurde der Blue Chan-nel nur ganz am Rande präsentiert. Erst hartnäckige Nachfragen einer Journalistin der Bild-Zeitung („Sind das jetzt Pornos, oder was?“) konnte die DF 1-Oberen zu näheren Einlassungen bewegen. Das Programm entspreche den Forderungen des Jugendschutzes, konnte man da hören – jugendfrei sei es aber nicht.

„Ich könnte so etwas nie tun“, sagt eine weitere Blondine noch später am Abend zu ihrem entkleideten Sexualpartner. „Ich denke, du tust es schon“, antwortet der – „auf eine gewisse Weise.“