Frauen gelten als Kriegsbeute

„SOS Frauen in Not“ kümmert sich ebenso um algerische Frauen, die Opfer des Bürgerkriegs wurden, wie um jene, die von ihren Männern vor die Tür gesetzt wurden  ■ Aus Algier Reiner Wandler

Alles begann, als die Terroristen unsere kleine Siedlung in den Bergen bei Tipasa überfielen“, erinnert sich Aische. Am Anfang des Gesprächs im engen Büro des „Aufnahmezentrums für Frauen in Not“ in Algier ist sie wortkarg. Doch nach und nach werden aus Wortfetzen ganze Sätze. Und schließlich sprudelt es aus der 42jährigen nur so heraus.

Was die Frau im mit Goldborten verzierten schwarzen Gewand und mit dem weißem Kopftuch, das fein säuberlich ihr Haar verhüllt, im Januar dieses Jahres alles erlebt hat, klingt unglaublich. „Ich wurde von den Terroristen in die Berge verschleppt“, sagt Aische, die von den radikalen Islamisten ebenso selbstverständlich als Kriegsbeute angesehen wurde wie ihre 48 Schafe und die gesamten Essensvorräte des Dorfes. Im Lager der Bande mußte sie tagsüber harte Küchenarbeit verrichten, dann kam die Nacht und damit das, worüber Aiche bis heute kaum spricht. Zwanzig Tage ging sie durch die Hölle, bis ihr in einer Nacht die Flucht gelang. Sieben Stunden stolperte sie durch die Berge. Dann fand sie den Weg nach Hadschut, dem größten Dorf der Region. „Ich brach auf dem Platz erschöpft zusammen“, erinnert sich Aische. Die Gendarmerie brachte sie in die Militärkaserne von Blida. „Irgendwann fragte mich dort jemand, ob ich bereit sei, meine Geschichte im Fernsehen zu erzählen“, erinnert sich Aische. Die Bilder gingen um die Welt.

Seither lebt sie im Frauenhaus in Algier. In ihr Dorf kann sie aus Angst vor Rache nicht mehr zurück. „Hilfe vom Staat habe ich nie bekommen“, beschwert sich Aische leise. Ihre acht Kinder hat sie mittlerweile nachgeholt. „Von meinem Mann weiß ich nur, daß er verhaftet wurde. Er soll ausgerechnet an die Terroristen eine Waffe weitergegeben haben“, sagt die Frau ungläubig.

Das Frauenhaus liegt mitten in der Stadt und doch abgeschirmt im Grünen, als wäre es auf dem Land. Gleich neben dem Betongebäude eines Ministeriums windet sich ein Feldweg den Hang hinunter. Am Ende versperrt ein übermannshohes eisernes Tor den Weg. Dahinter liegen die zwei eingeschossigen Plattenbauten eines ehemaligen Kinderheims. Seit fünf Jahren dienen sie als Frauenhaus. Duschen und Waschräume sind in einer Baracke nebenan untergebracht. Der Platz zwischen den Gebäuden ist nicht asphaltiert. Bei Regen verwandelt er sich in ein Schlammbad.

Staatliche Zuschüsse erhält die Initiative „SOS Frauen in Not“ nicht. Neben privaten Spenden stopfen Hilfsgelder aus dem Ausland – darunter von der deutschen Heinrich-Böll-Stiftung – die chronischen Finanzlöcher. Zur Zeit finden hier 20 Algerierinnen Zuflucht. Sie teilen sich mit ihren Kindern acht viel zu kleine Zimmer. Geräumig sei es im Augenblick, erklärt dennoch lächelnd eine Mitarbeiterin. Man habe hier schon bis zu 60 Frauen untergebracht. Dann schliefen die Hilfesuchenden selbst im Fernsehzimmer.

Lebensläufe wie der von Aische sind hier trotz der algerischen Krise die Ausnahme. Die meisten Bewohnerinnen des Frauenhauses kamen in ihrer Ehe nicht mehr zurecht. Irgendwo haben sie dann die 02-745656, die Rufnummer des psychologischen und juristischen Beratungsdienstes von „SOS Frauen in Not“, aufgeschnappt. „Ein Anruf kann alles ändern“, lautet der Slogan, den der Dienst im Radio und auf Handzetteln in Arabisch, Französisch und der Berbersprache Tamazight verbreitet.

„Ich kam direkt aus dem Krankenhaus hierher, nachdem ich meinen letzten Sohn auf die Welt gebracht habe“, sagt Fatillah. Dabei lief jahrelang alles gut. Die heute 34jährige Tochter eines Rathausbeamtem in einem Dorf bei Algier hatte eine gute Partie gemacht. Sie heiratete einen reichen Dorfbewohner, einen 15 Jahre älteren Baustoffhändler. Doch als Fatillah das fünfte Kind erwartete, verlor dieser plötzlich das Interesse an ihr. „Die andere“ tauchte auf. „In Polygamie leben, was in Algerien legal ist, kam für mich nicht in Frage“, sagt Fatillah. Es kam zum Bruch. Ihr Mann setzte sie mit den zwei jüngsten Kindern vor die Tür und behielt die drei älteren, auch das ist nach dem algerischen, am islamischen Recht angelehnten Familiengesetz von 1984 zulässig. Unterhalt zahlt ihr geschiedener Mann keinen. Fatillah hat längst aufgegeben, das Geld einzutreiben. Denn mehr als umgerechnet 25 Mark pro Kind und Monat ständen ihr eh nicht zu.

Das war vor vier Jahren. Seither hat sie nur einen Wunsch: „Eine Wohnung finden und raus hier aus dem Frauenhaus.“ Fatillah ist europäisch gekleidet, geschminkt und trägt das hennarote Haar offen. Seit einem Jahr arbeitet sie als Telefonistin in einem größeren Betrieb. Doch die 7.500 Dinar – umgerechnet 240 Mark – Monatslohn reichen nicht, um eine Wohnung zu finden. „Selbst ein außerhalb gelegenes Ein-Zimmer-Appartement kostet mittlerweile mindestens 10.000 im Monat“, berichtet Fatillah resigniert. Jetzt gibt es wieder einen Hoffnungsschimmer für sie. La Citta, eine kleine Zeitschrift aus Italien, will Patenschaften vermitteln. Mindestens ein Jahr lang sollen sechs Frauen 6.000 Dinar (190 Mark) Zuschuß erhalten, um so die Miete aufbringen zu können.

Sonia (38) will von diesem Programm nicht profitieren. Sie hat nur einen Wunsch: „Raus aus Algerien!“ Seit drei Jahren ist die Schwesternhelferin aus einem nahe liegenden Krankenhaus bei „SOS Frauen in Not“ untergekommen. 5.000 Dinar (160 Mark) verdient sie monatlich. Sie hat für sich und ihre drei Söhne – zehn Jahre, vier Jahre und eine Woche alt – ein Visum für Frankreich beantragt. Dort ist Sonia geboren, und dort wohnt noch immer ein Teil ihrer Verwandtschaft. Bis dahin lebt sie in Algier „in einer privilegierten Situation“, wie sie grinsend das zehn Quadratmeter große Zimmer nennt, das sie „nur“ mit ihrem Vierjährigen und dem Neugeborenen teilen muß. Der Älteste ist im mit österreichischer Hilfe aufgebauten SOS-Kinderdorf nahe der Hauptstadt untergebracht. „Die Trennung fiel mir nicht leicht, aber dadurch kann ich wenigstens arbeiten gehen“, sagt Sonia, die zur Zeit in Mutterschaftsurlaub ist.

„Ich habe aus Überzeugung nie geheiratet, um mir nicht auch noch die Sorgen eines Mannes aufzubürden“, erklärt Sonia ihre Lebensphilosophie. Dafür, daß sie dennoch auf eine Liebesbeziehung nicht verzichten mag und sogar Kinder hat, zahlt sie in Algerien einen hohen Preis. „Ledige Mütter werden hier von der Gesellschaft gemieden. Sie bekommen ebensowenig eine Wohnung wie unverheiratete Paare“, weiß sie zu berichten. Ihre einzige Perspektive heißt Emigration: „Ich muß einfach nach Frankreich zurück, denn für Frauen wie mich ist in Algerien kein Platz.“ Davon kann sie niemand abhalten.