Streit um Vergangenheitsbewältigung

■ In Bangladesch verschärft die überfällige Aufarbeitung vergangener Militärputsche den Konflikt zwischen Regierung und Opposition

Delhi (taz) – Ein 48stündiger Generalstreik der Opposition hat gestern in Bangladesch begonnen. Die Hauptstadt Dhaka und die Hafenstadt Chittagong wurden weitgehend lahmgelegt. In Dhaka wurde bei gewaltsamen Auseinandersetzungen ein Ladenbesitzer getötet. Die Opposition protestiert mit dem Streik auf die Gerichtsentscheidung vom Vortag, nach der 15 frühere Putschoffiziere für den Mord an Staatspräsident Scheich Mujibur Rachman und fast seine ganze Familie zum Tode verurteilt wurden. Die Regierung hatte vorsorglich bereits über zehntausend Mann paramilitärischer Truppen in Dhaka zusammengezogen. Bereits am Samstag war eine große Veranstaltung der Opposition durch die Polizei aufgelöst worden. Am Sonntag beherrschten zunächst die Anhänger der regierenden Awami-Liga das Straßenbild, als sie die Todesurteile feierten.

Die heftigen Reaktionen auf den Prozeß über einen 23 Jahre zurückliegenden Mord zeigen, wie stark die Geschichte des Landes noch immer wirkt. Mujibur Rahmans Tochter Sheich Hasina, die dem Massaker entging, weil sie damals in Deutschland wohnte, ist heute Ministerpräsidentin. Sie steht an der Spitze der Awami- Liga, deren gesamte Führungsschicht damals dezimiert worden war. Hasinas wichtigste politische Gegnerin Khaleda Zia ist die Witwe von General Zia-ur Rahman, dessen Mitwisserschaft im damaligen Putsch nie bewiesen wurde, der aber als Nachfolger der wichtigste Nutznießer des Mordes blieb. Auch die Rolle von Mohammed Ershad war seit der Anklageerhebung 1996 immer wieder Anlaß zu Spekulationen. Ershad war ebenfalls nach einem Militärputsch – mit dem Mord an General Zia – an die Macht gekommen.

Als vor knapp einem Monat sieben Personen verhaftet wurden, darunter zwei Abgeordnete der oppositionellen BNP von Khaleda Zia und ein prominentes Mitglied von Ershads Jatiya-Partei, war dies für die Opposition der Beweis, daß die Regierung mit dem Herumstochern in der Geschichte politisch Rache nehmen wollte. Die Verhafteten wurden inzwischen angeklagt, am 3. November 1975 im Zentralgefängnis von Dhaka die letzten vier Führer der Awami- Liga umgebracht zu haben, die das Massaker kurz zuvor überlebt hatten. Hasinas Intimfeindin Khaleda Zia benutzte die Verhaftungen, um ihr Oppositionsbündnis von sieben Parteien einschließlich Ershads Jatiya-Partei auf das Ziel des Regierungssturzes festzulegen.

Nach Meinung von Beobachtern sieht eine Mehrheit der Bevölkerung die Prozesse nicht als Abrechnung, sondern als nationale Gewissenserforschung. Die Verfolgung der Mörder ihrer Familie war zweifellos eine persönliche Obsession von Sheich Hasina. Aber sie trifft sich mit einem weitverbreiteten Gefühl, daß die traumatischen Ereignisse nach 1975 verarbeitet werden müssen, die bisher totgeschwiegen wurden. Die Aufklärung könnte auch die Demokratie stärken, indem sie putschfreudige Offiziere in Zukunft abschreckt. Die Ministerpräsidentin hat mit der Eröffnung der Anklagen in Fällen wie dem Mord an Khaledas Ehemann General Zia-ur Rahman auch demonstrieren wollen, daß es ihr nicht nur um ihr persönliches Anliegen und das ihrer Partei geht.

Bernard Imhasly