Halbherzige Demokratisierung

In Indonesien tagt die „Beratende Volksversammlung“, um die Weichen für politische Reformen zu stellen. Doch das Gremium wurde noch von Suharto eingesetzt  ■ Aus Bangkok Jutta Lietsch

Suharto ist noch immer sehr mächtig: Wir haben erst die Spitze der Pyramide abgeschlagen“, warnte der indonesische Oppositionspolitiker Amien Rais kürzlich. „Der Rest der Strukturen“ in der Militärführung und Bürokratie sei auch fünf Monate nach dem Sturz des alten Diktators „noch intakt“. Wird die tausendköpfige „Beratende Volksversammlung“ (MPR), die ab heute in Jakarta tagt, das ändern? Wird das viertägige Treffen ein „Meilenstein auf dem Weg zur Demokratie“ sein, wie Präsident B. J. Habibie gestern ankündigte?

Auf der MPR-Tagesordnung: Die Parlamentswahlen sollen auf Mai 1999 vorgezogen und neue Parteien zugelassen werden; die Amtszeit des Präsidenten wird künftig auf höchstens zwei Fünfjahresperioden beschränkt. Seit Tagen wächst in Jakarata die Spannung. StudentInnen und oppositionelle Gruppen kündigten Proteste an. Gerüchte über gewalttätige Provokationen kursieren. Militärchef Wiranto hat 30.000 Soldaten in die Stadt beordert. 120.000 zivile „Ordner“ sollen jede Störung verhindern. In der Bucht von Jakarta dümpeln 15 Kriegsschiffe.

Über fünf Monate ist es her, daß protestierende StudentInnen, flüchtende Geschäftsleute und brennende Stadtviertel Suharto zum Rücktritt zwangen. Sein politischer Ziehsohn und Nachfolger Habibie versprach grundlegende Reformen. Zunächst überraschte er viele Skeptiker, die ihn als „Marionette“ Suhartos sahen: Er entließ politische Gefangene und ließ eine bisher nie gekannte Meinungsfreiheit zu.

Dennoch fürchten viele Oppositionelle, daß Habibie und seine Regierung politische Reformen verschleppen wollen, um die Macht der Armee und der herrschenden Familien zu erhalten. So weigerten sich die Behörden, zwei Themen auf die MPR-Tagesordnung zu setzen: die Rolle des Militärs und die Verantwortung Suhartos für Korruption und Menschenrechtsverletzungen in den 32 Jahren seiner Herrschaft. Seitdem ein Untersuchungsbericht letzte Woche bestätigte, daß Gruppen in der Armee die gewalttätigen Unruhen im Mai schürten, ist der Ruf der Streitkräfte so schlecht wie nie.

Immer wahrscheinlicher wird auch der Verdacht, daß hinter der jüngsten Mordserie in Ostjava gewisse Kreise des Militärs stecken könnten, vermutete kürzlich die Jakarta Post. Amien Rais vermutet „die Hand Suhartos und seiner Günstlinge“ hinter der Gewaltwelle. Seit dem Sommer sind auf Java über 200 Menschen brutal umgebracht worden. Die Täter sollen schwarze Kleidung und Masken tragen und besonders gut trainiert wirken. Die Zeitung Detak druckte den Bericht eines ehemaligen Soldaten. Er behauptete, die Elitetruppe Kopassus unterhalte ein Terrorausbildungscamp. Ziel: Angst und Chaos zu verbreiten, um dem Militär einen Vorwand zu geben, einzugreifen. Bis zum März unterstand Kopassus dem Suhrto- Schwiegersohn Prabowo Subianto (siehe Kasten).

Solche Berichte mögen absurd scheinen, aber in Indonesien werden sie für möglich gehalten. Die Erinnerung an die sechziger Jahre ist noch wach: Kurz nach Suhartos Machtantritt kamen 500.000 Menschen bei antikommunistischen Pogromen um. Suharto, der nach einem ungeklärten Putsch ins Amt kam, bedachte die Militärs mit Posten in Verwaltung und Wirtschaft. Nur die Armee könne Indonesiens Einheit bewahren.

Ironie der Geschichte: Die meisten MPR-Abgeordneten, die ab heute über Reformen beschließen sollen, verdanken ihren Posten Suharto. Neben 425 gewählten Parlamentsabgeordneten und 75 bestellten Militärs sitzen 500 handverlesene „verdiente Persönlichkeiten“ in dem Gremium. Darunter weitere 75 Militärs. Bislang mußten sie nur einmal alle fünf Jahre den Präsidenten ohne Gegenkandidaten wiederwählen.

Habibie tauschte 250 der Abgeordneten aus – darunter auch Suharto-Kinder und Familienangehörige hoher Militärs – und setzte dafür eigene Gefolgsleute ein. Über die Hälfte der Delegierten gehören zur Regierungspartei Golkar. Die beiden anderen bislang zugelassenen Parteien waren unter Suharto machtlos. Um die Glaubwürdigkeit der MPR zu erhöhen, bot die Regierung den drei populärsten Oppositionspolitikern in letzter Minute einen Sitz an: Amien Rais, Exchef der muslimischen Religionsgemeinschaft Muhammadiya, dessen Nationale Mandatspartei vor allem städtische Muslime anzieht; Abdurrahman Wahid, Chef der 32 Millionen Mitglieder starken Islamgemeinschaft NU; und Megawati Sukarnoputri, die Tochter des Staatsgründers Sukarno. Alle drei lehnten das Angebot ab.