Nicht den letzten Mohikaner spielen

Katrin Göring-Eckardt ist eine der letzten ostdeutschen Grünen im Bundestag, die in der Partei eine Rolle spielen. Die 32jährige will sich jedoch nicht in eines der grünen Raster – Strömung, Quote, Herkunft – sperren lassen  ■ Aus Bonn Robin Alexander

Katrin Göring-Eckardt, neugewählte Abgeordnete von Bündnis 90/Grüne im Bundestag, kann sich einer Pionierleistung rühmen, um die sie manch eine ihrer frauenbewegten Fraktionskolleginnen wohl heimlich beneidet. Als sie mit 22 Jahren den Pfarrer Michael Göring heiratete, wollte sie partout nicht so wie der berüchtigte Reichsfeldmarschall heißen. Sie setzte durch, ihren Mädchennamen Eckardt anhängen zu dürfen. „Herzlichen Glückwunsch, Sie sind die erste Frau mit Doppelnamen in der Deutschen Demokratischen Republik“, gratulierte damals der Standesbeamte von Neudiedendorf bei Erfurt. Das war 1988, also vor ungefähr hundert Jahren.

Die Gegenwart ist Bonn. Erst um halb vier in der Wahlnacht wußte Göring-Eckardt, daß ihr erster Platz auf der Thüringer Landesliste tatsächlich zu einem Mandat reicht, drei Stunden später saß sie schon im Flieger Richtung Rhein. Trotzdem wirkt die 32jährige um Jahre zu spät gekommen. Politiker mit ihrer Vita – politische Sozialisation in der solidarischen Kirche, Engagement bei den Oppositionsgruppen Demokratischer Aufbruch und Demokratie Jetzt – sind selten geworden, auch bei den Grünen. Zu denen ist sie 1992 mit Bündnis 90 gekommen. Die Verhandlungen über die Vereinigung von Bündnis 90, den kleinen Ost- sowie den großen Westgrünen beschreibt sie als „Kulturschock“.

Von den fünf Ossis, die heute noch für die Grünen im Bundestag sitzen, hätte Werner Schulz der einzige mit echtem Einfluß werden können. Aber die hohen Posten in Regierung und Fraktion wurden verteilt an Frauen und Männer, Linke und Realos – nur die Ostdeutschen gingen leer aus. Schulz war verletzt und sprach von „Westpartei“. Bürgerrechtler wie Konrad Weiß fordern mittlerweile sogar, „Bündnis 90“ konsequenterweise gleich aus dem Parteinamen zu streichen.

„Das bleibt meine Partei“, sagt Katrin Göring-Eckardt dazu. Ja, auch sie beklagt das Fehlen von ostdeutschem Spitzenpersonal. Krach schlägt sie deshalb nicht: „Wir wollen auch Personalprobleme in Zukunft im Konsens lösen.“ Persönlich hat sie übrigens profitiert. „Die Fraktion brauchte noch Ostdeutsche im Vorstand“, erklärt sie, und so rückte die Newcomerin im Parlament gleich zur stellvertretenden parlamentarischen Geschäftsführerin auf.

Den Frust der alten Bürgerrechtler kennt die junge Abgeordnete. Sie hat den Niedergang der Partei im Osten als Landesvorsitzende und Mitglied im Bundesvorstand miterlebt. Nachvollziehen kann sie das Jammern der alten Garde nicht. „Einige sind einfach auch nicht so angekommen, wie sie es sich gedacht haben.“ Einige, das sind wohl Leute wie Konrad Weiß oder Marianne Birthler. Namen aus der eigenen Partei nennt die harmoniebedürftige Politikerin in diesem Zusammenhang nicht. Andere Helden der friedlichen Revolution sind vor lauter Haß auf die PDS sogar in die CDU eingetreten. Göring-Eckardts Thema hingegen ist nicht die SED-Nachfolgepartei oder die Aufarbeitung des Stasi- Unheils. Die Schwerpunkte der Pfarrfrau sind Sozialhilfe und Arbeitsmarkt: „Das hat mit den Realitäten im Osten zu tun.“

Auch an die Bonner Realitäten hat sie sich rasch angepaßt. Parteidisziplin ist so eine dieser Realitäten. Im langweiligen Gesundheitsausschuß sitzt Katrin Göring-Eckardt nicht aus Neigung, sondern weil die grüne Ministerin Andrea Fischer dort eine Vertraute braucht. Die hat sie mit Göring- Eckardt sicher bekommen, die Neuabgeordnete und die Neuministerin teilen sich bis zum Umzug nach Berlin sogar eine Wohnung. Die fröhliche Andrea Fischer, Berlinerin westdeutscher Herkunft, ist fester Bestandteil von Göring-Eckardts „privatem Hinterland“ in Bonn. Das soll die Ferne von ihrem Mann und den beiden Kindern erleichtern. Die Trennung von der Familie wird ihr wohl mehr zu schaffen machen als vielen ihrer Kolleginnen. Mit großen braunen Augen und den mädchenhaft hinter die Ohren geklemmten Haaren wirkt sie nicht zerbrechlich, aber doch sehr zart.

Dabei kann auch Göring-Eckardt die Geschichten von Verletzungen und Verrat erzählen, die andere Oppositionelle aus der DDR so bitter gemacht haben. Am intensivsten erinnert sie sich an solche Geschichten aus der Zeit ihrer ersten Schwangerschaft im Herbst 1989. Die erste Versammlung des Neuen Forums in Erfurt umstellte die Volkspolizei und fuhr Wasserwerfer auf. Göring-Eckardt, hochschwanger, mußte die Kirche vorzeitig verlassen. Sie hatte Angst. Im Wendeherbst ein Kind zu haben sei „ganz, ganz hart“ gewesen, erinnert sie sich.

Die Rolle des letzten Mohikaners von Bündnis 90 mag Katrin Göring-Eckardt nicht spielen. Sie ist eine von denen in der jungen Regierungspartei, die sich nicht mehr in das alte grüne Raster von Strömungen und Quoten sperren lassen wollen, auch nicht in das der Bürgerrechtler: „Mein Thema ist nicht das Ende der DDR, sondern die Gestaltungsmöglichkeiten, die dieses Ende uns gebracht hat.“