Spätgriechischer Mittelalterjazz aus der Sumsahara

■ Komponist und Computerspieler Manfred Stahnke erzählte beim Bremer Podium von den Wonnen fortgeschrittener Stillosigkeit

Die BesucherInnenzahlen beim Workshop des Bremer Podiums und beim abendlichen Konzert selbst schwanken nicht besonders stark. Denn die wenigen, die gerne Neue Musik hören, interessieren sich in der Regel auch für das Warum und Wie der KomponistInnen. Dieses Mal stand Manfred Stahnke Rede und Antwort: Er ist 1951 geboren und heute Professor für Komposition, genauer: für mikrotonale, elektronische und computerisierte Musik an der Musikhochschule in Hamburg. Aber ästhetische Sicherheit ist damit nicht verbunden, im Gegenteil. Manfred Stahnke trieb der Verlust an Leitfiguren – „wir haben keinen König mehr“ – und die damit verbundene Orientierungslosigkeit in eine neue Lust an den unbegrenzten Möglichkeiten.

Es gibt in seinem Oeuvre fast keine mathematische Struktur, keinen ethnischen Rhythmus, keine Methode der Mikrotonalität, keinen musikhistorischen Stil, mit dem er sich nicht produktiv beschäftigt hätte. Und so sagt er heute: „Mein Denkbild bewegt sich in Richtung eines 'altgriechischen Mittelalterjazz', der geprägt ist durch die lineare Polyrhythmik der Hohen Anden“.

Polymetrik aus der Subsahara, europäische Polyphonie des 13. und 14. Jahrhunderts, früheuropäische Straßenmusik, Troubadours und Trouvères, die Musik des Naturtonapostels Harry Partch, Instrumente aus Äthiopien ... und und und. Die grundsätzliche Sehnsucht ist: „Etwas zu erfinden, was nur in Klang passiert“, und: „Tanzen auf den Schichten, die uns formen“.

Nach dem Workshop brummte eher der Kopf, und man war gespannt: Wie klingt das? Wie klingt ein solches theoretisches Patch-work, das der Komponist sogar noch zur Disposition stellte: „Sagen Sie mal, was Sie daran vielleicht falsch finden“. So beliebig war die Musik am Abend nicht – Gott sei Dank. Über was Stahnke theoretisch nicht reden mochte, war: Poesie, Fantasie, Humor. Dies alles leuchteten gelegentlich auf, auch Epik und Erzählung.

„Valiha“, ein Stück für Cello und Klavier mit dem Namen der madegassischen Röhrenzither: ein pfiffiges Tasten und Fragen anhand zerrissener Linien, leider zu geschwätzig. „Partota III – Ciconietta“, quasi Improvisation über ein Chanson von Johannes Ciconia, bietet ein leidlich interessantes, in räumliche Qualitäten übergehendes Gewusel über dem Thema, mit beeindruckender Präsenz gespielt von Margit Kern. Leicht, luftig die zweite Streetmusik für Flöte und Schlagzeug. Witzig und ironisch die „Ansichten eines Käfers“ (glänzend und ungemein überlegen gespielt von Satoshi Oba).

Den stärkster Eindruck des Abends hinterließ ein altes Stück: „Ritus“ für Flöte, Cello und Klavier. In diesem kräftigen, fast archaischen Stück ist in einem riesigen Crecscendo noch vorhanden, was sich später eher verflüchtigt: Setzung, Verbindlichkeit, auch künstlerische Kraft (Lesley Olson, Flöte, Scott Roller, Cello und Susanne Achilles, Klavier).

Ute Schalz-Laurenze