Junges Ostdeutschland Von Carola Rönneburg

Wer sich für die Jugend aufopfert, erntet Undank. Davon kann Katja Lange-Müller, „Junges Deutschland“-Kolumnistin im Zeit-Magazin, ein Lied singen, bzw.: Sie hat es schon getan. Katja Lange-Müller – bitte merken Sie sich diesen Namen gut – reiste nämlich vor kurzem nach Mecklenburg-Vorpommern, wo sie wieder einmal in einem Gymnasium vor einem Deutsch-Leistungskurs lesen sollte. Empfangen wurde sie von einer Frau Schmidt. In ihrer Kolumne erinnert sich Katja Lange- Müller noch genau an diesen Namen, Frau Schmidt aber hatte den der jungen Deutschen vergessen: „Sind Sie die Schriftstellerin? Na, dann folgen Sie mir.“ Gemein, oder? Und das war erst der Auftakt zur „Doppelstunde Dichterlesung“, denn nun kommen die Schüler der 10b. Darunter „drei baumlange Kerle, die Hälse in FC- Hansa-Rostock-Schals gewickelt“ – nebenbei, man sollte wirklich noch einmal über Schuluniformen nachdenken –, „Streuselschnecken kauend, betreten den Raum, pflanzen sich hin, wortlos.“ Ist das zu fassen? Da haben diese Bengels die einmalige Chance, Katja Lange- Müller, der „Junges Ostdeutschland“-Kolumnistin, leibhaftig zu begegnen, und was tun sie? Sie kauen Streuselschnecken! Es sollte aber noch schlimmer kommen: „Ich ergreife das Wort“, so Katja Lange-Müller, „doch – ein Blick in die Runde bestätigt es mir – sonst nichts und keinen.“ Hat man sowas schon mal gehört? Ich meine, von Schülern? In einer Schule? Das muß am Osten liegen.

Trotzdem liest die Schriftstellerin, also Katja Lange-Müller, tapfer aus dem Anfang ihres „noch unveröffentlichten Romans, der wohl ein Fragment bleiben wird“. Ich greife wohl kaum vor, wenn ich behaupte, daß ebendiese Nichtveröffentlichung dem unmöglichen Verhalten der mecklenburg-vorpommerischen Schüler geschuldet sein wird, denn diese 16jährigen, streuselschneckenkauenden Hools wissen ja nicht einmal, „wie oft schon“ Katja Lange-Müller „unter der Rubrik ,Junges Deutschland‘ veröffentlichen durfte“. Nein, ahnungslos, dumm und undankbar, wie sie sind, lachen sie nicht einmal über die „lustigen Stellen“, die Katja Lange-Müllers Fragment zu bieten hat. Es wird auch nicht besser, als die junge Deutsche noch mehr Perlen vor die Säue wirft und „eine Passage voller kompliziert gebauter, vielgliedriger Sätze“ vorträgt – hier greift jemand zum Gameboy.

Zur Doppelstundenpause, schreibt Katja Lange-Müller dennoch verständnisvoll, ja: leidensgemeinschaftlich inspiriert, möchten „mein Leistungskurs und ich auch gern aufspringen“ – allein, es ist ihr bei drei Jahren Bautzen verboten worden, eine Pause zu machen.

Also muß sie nun Fragen beantworten. Mit Ausnahme der Lehrerin will aber keiner der Schüler etwas von ihr wissen. Und dann sagt die Lehrerin auch noch „Sie leben also vom Dichten“. Da will dann Katja Lange-Müller, wie sie in ihrer Kolumne „Junges Deutschland“ an der lustigsten Stelle erzählt, ihre Papiere zusammengerafft und schlagfertig geantwortet haben: „Warum nicht? Am liebsten esse ich gebratene grüne Heringe mit Zwiebeln und Kopfsalat. Ich trage Schuhgröße vierzig, und wenn alles gutgeht, werde ich in drei Jahren fünfundsechzig.“

Das war bestimmt ein bißchen gelogen. Aber, Respekt: Ihr Alter hat sie nicht verschwiegen.