Arkaden fürs Fußvolk, das „Hyatt“ für den Rest

■ Eins zu null für die Shopping-Mall: Neugierige strömen zuhauf, Geschäftsleute sind zufrieden

Drinnen ist es grüner als draußen. Die grauen Bäume in der Potsdamer Straße verlieren sich in der Straßenschlucht. Rings um die Wasserfläche am Marlene-Dietrich-Platz ist ohnehin kein Zipfelchen Grün zu entdecken. Hinter der Glasfassade grünt es kräftig, die 30 Kampferbäume in Reih und Glied gehören zum festen Inventar der „Potsdamer-Platz-Arkaden“. Seit letztem Samstag haben sie Konkurrenz bekommen: An jeder Ecke steht eine mit Goldkugeln beladene, künstliche Tanne, Gold- Deko baumelt von der Decke: Es weihnachtet schon am Potsdamer Platz.

Vor gut fünf Wochen wurde die drei Milliarden Mark teure Daimler-City samt Shopping-Mall eröffnet – und nach wie vor strömen jeden Tag Hundertschaften von Neugierigen in die Kunststadt. 3,5 Millionen Besucher wurden nach drei Wochen gezählt. Das Areal wirkt noch immer wie eine Filmkulisse, die Gebäude wie Pappfassaden, die Besucher wie Statisten. Kameraleute richten ihre Scheinwerfer aus. Gleichgültig, an welchem Wochentag man durch das Viertel streift, immer steht irgendwo ein Fotograf, immer sieht es ein bißchen nach Filmset aus.

Gleichmut braucht, wer sich in einem der Restaurants der Mall, im „Pomme de Terre“, im „Asia- Pavillon“ oder im „Wiener Café“ einen Moment lang ausruhen möchte. Auch der letzte Stuhl ist besetzt, Einkaufstüten müssen zwischen die Beine geklemmt werden. Ohne Unterbrechung schieben sich die Massen an den Tischen vorbei, starren neugierig auf die Teller.

Der ganze Arbeiterbezirk Wedding scheint die Gastronomie in den „Arkaden“ zu bevölkern. Bei Aldi, Reichelt, Nordsee und Deichmann trifft man sich wieder. Die drei Männer aus Berlin-Treptow sind beim Blick ins Schaufenster eines Schuhgeschäfts zufrieden: „Das sind ja ganz normale Preise hier.“ Wie viele andere hatten sie die Wiederholung der Luxusläden in den Friedrichstadtpassagen befürchtet. Jetzt sind sie froh, mit Footlocker, Hussel und Benetton Altbekannte zu sehen.

Im Gegensatz zur noblen Friedrichstraße wird in den „Arkaden“ nicht nur geguckt, sondern auch gekauft. Die Filialleiter sind durchweg zufrieden. Von einem „Super- Umsatz“ spricht man im Papiergeschäft, die Verkäuferin im Schmuckladen „kann nicht klagen“. Vor allem die verkaufsoffenen Sonntage an den ersten beiden Wochenenden seien lukrativ gewesen, berichten die Blumenhändler. Nur unter der Woche werde es inzwischen etwas ruhiger.

Im Obergeschoß der Einkaufspassage finden sich etwas noblere Läden. Eine Frau blickt ins Schaufenster: „Ist das ein Museum?“ Ratloser Blick auf den Nofretete- Kopf, dann auf den Ehemann. Doch die Ausstellungsstücke in den Glasvitrinen sind käuflich. Halten die Filialen der Billig-Discounter die wohlhabendere Kundschaft ab? Diese Vermutung will in den Läden auf der Galerie niemand bestätigen. Der Filialleiter des italienischen Keramikgeschäftes spricht zwar von „viel Neugier“, aber „die Leute kaufen auch“. Ebenso wie die Verkäuferin in der gegenüberliegenden Boutique ist er mit dem Umsatz zufrieden. „Wir sehen vielleicht etwas nobler aus“, schätzt die Verkäuferin, „aber eigentlich haben wir ganz normale Preise.“ In der Friedrichstraße sei sie mit ihrem Laden fehl am Platz.

Auch das Publikum von Gucci & Co ist neugierig auf den Potsdamer Platz, bleibt jedoch unter sich. Im „Dietrich's“, im Erdgeschoß des Fünf-Sterne-Hotels „Grand Hyatt“, treffen sich die, die sechs Mark für einen Capuccino und 598 Mark für den Silvesterball mit Live-Schaltung zum Brandenburger Tor ausgeben.

Über die Sicherheit der Reichen und Schönen, aller Besucher und nicht zuletzt der Geschäftseinrichtungen wird in Daimler-City lückenlos gewacht. An jeder Ecke steht ein Security-Mitarbeiter. Zwölf Stunden lang muß sich ein Sheriff die Beine in den Bauch stehen, mit drei Pausen dazwischen. Abwechslung bringen höchstens die Fragen der Besucher, vornehmlich der Touristen. Wo denn die Voxstraße sei, will eine Frau wissen. Achselzucken. So genau scheint sich die Sicherheitsfrau mit dem neuen Straßennetz noch nicht auszukennen. Sonst wüßte sie vielleicht, daß sie genau darauf steht.

So neu ist der Potsdamer Platz – und so vertraut. „Wie im Jesundbrunnen-Center is det“, sagt ein Mann, der seinen Rundgang beendet hat und zum Ausgang der „Arkaden“ strebt. Öffnet die Tür – Panflöten-Klänge. Draußen wiegen sich Peruaner in ihren Ponchos. Wie in jeder Fußgängerzone der Republik. Jutta Wagemann