Die Angst vor Rot-Grün ist verflogen

Nach anfänglichem Mißtrauen gegenüber den „Extremisten“ warten die Russen heute gespannt auf den Antrittsbesuch des neuen Außenministers. Viele sehen sogar Chancen für bessere Beziehungen  ■ Aus Moskau Barbara Kerneck

Bei seinem heutigen ersten Staatsbesuch in der Russischen Föderation ist Deutschlands neuem Außenminister Joschka Fischer eine glatte Landung in den hiesigen Medien und in der öffentlichen Meinung sicher. Noch vor wenigen Wochen war das anders. Auf den Regierungswechsel in Bonn reagierte die russische Presse verunsichert. Präsident Jelzins „Freund Helmut“ galt als Garant von Stabilität. Die deutschen Sozialdemokraten sahen daneben aus wie halbe Kommunisten und die Grünen wie eine Horde von Buhmännern und -frauen. Mit den Eigenschaftsworten „radikal“ oder sogar „extremistisch“ wurde ihnen gegenüber nicht gegeizt.

Inzwischen hat sich herumgesprochen, daß kein Grund zur Beunruhigung besteht. Wladimir Lukin, Ex-Botschafter in den USA und Vorsitzender des Außenpolitischen Ausschusses der Duma, meinte, daß es sich bei dem Machtwechsel in Bonn um einen organischen Vorgang handele. „An die Stelle einer Generation, deren Hauptanliegen die Wiedervereinigung Deutschlands war, tritt die Generation, deren Hauptproblem das wiedervereinigte Deutschland bildet.“ Im Gespräch unter vier Augen haben Vertreter verschiedener politischer Richtungen in Moskau gegenüber einer rot-grünen Außenpolitik keine Vorurteile.

Sogar stürmische Hoffnung verbindet mit ihr der Historiker Arseni Roginski, Mitglied der Gesellschaft Memorial, die über die Verbrechen der Hitler- und Stalin- Epoche in Rußland aufklärt und den Opfern hilft. „Ich bin in den letzten Jahren oft in Deutschland gewesen“, sagt Roginski, „und gewann dabei den Eindruck, daß das Land verknöchert. Da freut es mich, wenn ein Fischer Außenminister wird, der den Mut hatte, sich auf die Schienen zu setzen und zu protestieren. Unsere Beziehungen können nur gewinnen, wenn hier und in Deutschland Leute an die Macht kommen, die sich weniger als Vertreter ihrer Staatsapparate fühlen und mehr als Vertreter ihrer Gesellschaft.“

Roginski hat einen Vorschlag, um zu bewirken, daß das Ausmaß deutscher Hilfe künftig nicht mehr vor dem russischen Volk verborgen bleibt, und um zu verhindern, daß beides unterschlagen wird: „Ich kenne in Rußland zahlreiche unabhängige Organisationen, die sich ehrlich abmühen. Warum sollen sie nicht informiert werden, wenn Deutschland in ihrer Region Fortbildungsmaßnahmen für entlassene Militärs finanziert?“

Optimistisch in bezug auf die Entwicklung der deutsch-russischen Beziehungen unter Rot- Grün zeigt sich auch Wladimir Konowalow (54), Direktor des Moskauer Instituts für Strategische Analysen. Er gibt sich gern als Vertreter der Staatsräson. Wie bei vielen konservativen Russen schlägt sein Herz aber stark für die vaterländische Umwelt. „Das Ausmaß der ökologischen Probleme Rußlands kennt in der Welt nicht seinesgleichen“, sagt Konowalow. „Der gemeinsame Kampf um eine saubere Umwelt könnte zum integrierenden Faktor zwischen unseren Staaten werden.“

Erfreut hat Konowalow bisher auch die Vorsicht der Grünen in bezug auf eine Einmischung der Nato im Kosovo. Eine radikale Änderung der Bonner Bündnispolitik schließt er aus. Aber: „Vielleicht legen die Sozialdemokraten und die Grünen im Vergleich zu ihren Vorgängern etwas mehr Weisheit an den Tag und sind weniger bereit, den Amerikanern widerspruchslos zu folgen.“

Verschiebungen im Dreieck Deutschland/Rußland/USA hält auch die Soziologin Marina Pawlowa-Silwanskaja für möglich, „aber nur ganz leichte“. Im übrigen glaubt sie, daß die deutsch-russischen Beziehungen „bleiben, wie sie gewesen sind“. Trotzdem erwartet sie einen anderen Stil der außenpolitischen Meinungsbildung: „Die persönliche Freundschaft zwischen Führern ist eine schlechte Basis für die politischen Beziehungen zwischen Staaten. Die Fortschritte in der deutschen Ostpolitik haben wir den Sozialdemokraten zu verdanken. Die stützten sich auf ein breites Netz von Kontakten in Osteuropa. Dieses Netz werden sie heute wieder aktivieren und nutzen.“ Dann wird die Mitarbeiterin des Carneggie-Zentrums persönlich: „Bitte richten Sie Joschka etwas Nettes aus! Seine ersten Staatsbesuche waren sehr glücklich geplant. Er hat das Zeug zu einem erfolgreichen Außenminister, und außerdem fügt er sich harmonisch in die diplomatische Landschaft ein.“