Nicht Wiederaufbau, sondern Neuanfang ist angesagt

■ Nach „Mitch“ soll in Honduras alles anders werden. Uneins sind sich die Experten nur über den Weg

Wenigstens ihren Humor haben die Honduraner nicht verloren. Frage: „Was war das Gute am Hurrikan Mitch?“ Antwort: „Daß er all die baufälligen provisorischen Brücken weggeschwemmt hat, die 1974 nach dem Hurrikan ,Fifi‘ gebaut worden sind.“ Das Land hangelt sich von Katastrophe zu Katastrophe. Alle 20 Jahre gab es in diesem Jahrhundert Überschwemmungen mit Tausenden von Toten: 1915, 1935, 1954, 1974. Jetzt aber, nach „Mitch“, soll alles anders werden. Linke wie Rechte sind sich da einig. Juan Bendeck, schwerreicher Unternehmer und Wirtschaftsberater des Präsidenten, sagt: „Es geht jetzt nicht um den Wiederaufbau des Landes, sondern um den Aufbau eines neuen Honduras.“ Genauso wehrt sich Gilberto Rios, ein Veteran der Agrarreformbewegung, gegen das Wort Wiederaufbau. Diese Krise, sagt er, „gibt uns die Gelegenheit zu einem Neuanfang“.

Die Gemeinsamkeiten gehen sogar noch weiter. Beide, Bendeck wie Rios, gehen davon aus, daß Honduras nur dann wieder auf die Beine kommen kann, wenn dem Land die Auslandsschuld von gut vier Milliarden US-Dollar erlassen oder zumindest auf Jahre hinaus gestundet wird. Beide denken an den Tausch von Auslandsschulden gegen Aufbauinvestitionen. Doch damit enden die Gemeinsamkeiten. Denn Bendeck will die Krise nutzen, um den neoliberalen Wirtschaftskurs zu dynamisieren. Rios will dieses Modell aufbrechen.

Bendeck rät dem Präsidenten, „dem Aufbau der Exportwirtschaft und der dafür notwendigen Infrastruktur absolute Priorität einzuräumen“. Im Klartext heißt dies: noch mehr Schwitzbuden mit Hungerlöhnen und eine Ausweitung der Bananen-, Zuckerrohr- und Ölpalmenplantagen. Bereits in den letzten sechs Jahren hat die nationale Oligarchie heftig in diesen Sektor investiert. Vorbild für diese Art des Aufbaus ist die Chiquita-Tochter Tela Railroad Company, deren Sprecher ankündigte, man wolle den Totalverlust auf den Plantagen nutzen, um den Konzern „für das nächste Jahrtausend fit zu machen“. Auch sagte er, daß erst einmal 7.300 Arbeiter für ein Jahr entlassen würden. Besonders hochwassergefährdete Pflanzungen sollen ganz aufgegeben werden. Der Weltmarkt gibt ohnehin nicht soviel her, wie man sich nach dem Zusammenbruch des Ostblocks erhofft hatte.

So war das auch schon nach dem Wirbelsturm „Fifi“. Damals überließ die Tela die am schlimmsten getroffenen Plantagen dem staatlichen Agrarreforminstitut, und das verteilte das Land an Kooperativen. Die Tela freilich beherrschte weiterhin die Vermarktung. Als die Kooperativisten die Plantagen wieder hochgezogen hatten und die von Tela verlangten Qualitätsstandards erreichten, begannen die Probleme. Führende Kooperativisten wurden erschossen, und immer wenn die Ernte anstand, war der Markt gerade zufällig gesättigt. Das ging so lange, bis die Kooperativen aufgaben und die Plantagen an die Tela verkauften.

Rios befürchtet, daß sich derselbe Kreislauf noch einmal abspielen könnte. Wie bei Bendeck steht bei Rios der produktive Sektor im Mittelpunkt. Doch Rios denkt nicht an Bananenplantagen und auf den US-Markt orientierte Schwitzbuden. Man müsse in die Produktion von Grundnahrungsmitteln investieren. Nur so lasse sich verhindern, daß durch den Wirbelsturm die Landflucht angeheizt wird. Nur so lasse sich verhindern, daß noch mehr Menschen ihre Hütten an den Flußufern und Böschungen der Städte aufschlagen – um dann beim nächsten Unwetter zu den Toten zu zählen.

Rios kennt ein probates Mittel, um dies zu erreichen: „garantierte Preise für die Produzenten“. Nach dem Hurrakan „Fifi“ hatte dies die damalige Militärregierung verordnet. „Obwohl ,Fifi‘ die Ernten genauso vernichtet hat wie ,Mitch‘, produzierten die Kleinbauern innerhalb kürzester Zeit soviel, daß der Staat nicht einmal alles speichern konnte.“ Ein Beispiel, was organisierte Kleinbauern alles leisten können, lieferte jetzt der Süden der Provinz Lempira. Die Agrarindustrie hat dort keine Interessen, Kleinproduzenten und Entwicklungsorganisationen haben freie Hand. Seit sechs Jahren gibt es dort keine Brandrodungen mehr. Bereits abgeholzte Flächen wurden wiederaufgeforstet.

Und obwohl es dort in den letzten Tagen genauso geschüttet hat wie in anderen Gegenden, gab es weder Erdrutsche noch Tote. Auch die Ernteverluste hielten sich in Grenzen. Gerade zwanzig Prozent der Bohnenernte sind wegen der Feuchtigkeit verschimmelt. Und so kam es, daß aus dem Armenhaus des Landes gemeldet wurde, man habe 5.000 Zentner Bohnen und 20.000 Zentner Mais übrig, die in den Katastrophengebieten verteilt werden könnten.