Eitler Abgesandter der Blues-Hölle

■ Hat Jon Spencer für die Blues Explosion seine weißarschige Seele verkauft?

Mondlose Nacht, Ende der 80er, irgendwo im alten, sumpfigen New Orleans. Ein dunkles Kellergewölbe, darin ein Altar, ein paar Hühnerfüße, eine tote Katze, Schrumpfköpfe, Kerzen, ein greiser schwarzer Abgesandter der Hölle und ein schmächtiger weißer Collegeboy: Jonathan Spencer aus Washington D.C.

Jon Spencer: Ich will Rock'n'Roll sein. Was muß ich tun?

Der Alte: Was bietest du?

Meine Großmutter.

Lächerlich!

Meinen Studienplatz in Harvard.

Vergiß es!

So ging es lange hin und her. Der alte Mann verlangte viel: Spencers Seele, seine Geschichte und seine Eitelkeit. Vor allem wegen letzterer kam das Geschäft nicht zustande. Spencer ging zurück an die Ostküste, siedelte nach New York über, kaufte sich enge Hosen und spitze Schuhe auf dem Flohmarkt, wusch weder Haare noch Koteletten und probierte mit der konventionellen Mischung aus Drogen und asozialem Betragen den weißarschigen Mittelstandsbürger auszutreiben.

Drei Bands und zehn Jahre später hat er es geschafft: immer noch ein eitler, zivilisationsversauter Aufschneider, aber auch das Vorzeigemodell davon, wieweit man kommen kann, wenn man den Rock zwingt. Zeitgemäßer und vor allem stilvoller und jünger als Mick Jagger verortet sich Spencer heute auf einer Höhe mit Beck Hansen. Beide sind Rolemodels urbaner Coolness, doch während Beck seine multiple Persönlichkeit in jedem Moment thematisiert, bewegt sich Jon Spencer innerhalb einer von ihm selbst bewußt eng gesteckten, geschichtlich angebundenen Blues- und Rock-Klammer. Hier ist alles Stil, alles cool, roh, kantig und elektrisch – Dogmen, die Progression eigentlich unmöglich machen und wenn, dann eben nur wie auf dem aktuellen Werk Acme eingeschrieben, wo der direkt eingespielte, heilige Shit erst im nachhinein von Menschen und Maschinen bearbeitet wurde.

Doch Spencer tut alles, um sein letztes Manko auszugleichen: Seit Anbeginn der Blues Explosion sucht er die Nähe zum au-thentischen Stoff und umgibt sich mit faltigen Straßenkötern. Nach Rufus Thomas und RL Burnside ist es jetzt Motown-Verlierer Andre Williams, ein weiterer Überlebender jener kleinen Gruppe von Menschen, für deren Mitgliedschaft Spencer einst den Pakt schließen wollte. Holger in't Veld Fr, 13.11. , 21 Uhr, Große Freiheit