Wirre Grenzgängerin

■ Die erratische Songwriterin Chan Marshall alias Cat Power über Träume, Realität, die vierte Dimension und die Farbe der Augen

Aufgekratzt ist gar kein Ausdruck. Chan Marshalls Finger trommeln auf die Tischplatte. Ihre Augen blicken hierhin und dorthin, und ganz plötzlich schaut sie einem in die Augen. Sie rutscht im Stuhl vor und zurück, erzählt mal rasend schnell, mal stockend. Chan Marshall ist Cat Power. Unter diesem Pseudonym hat sie vier Alben veröffentlicht, mit rätselhaften, wunderschönen Songs.

taz: Es gelingt mir selten, den Texten zu folgen, selbst wenn ich die Worte verstehe. Trotzdem scheint die Musik eine Ahnung zu geben, worum es geht. Jedenfalls nicht um Geschichtenerzählen.

Chan Marshall: Nein, Musik ist den Menschen so wichtig, weil sie eine unausgesprochene, eine unterbewußte Sprache spricht. Wenn jemand eine Sprache nicht versteht, kann die Musik trotzdem eine Verbindung herstellen. Deshalb sind Texte gar nicht so wichtig. Meine sind Assoziationen zur Wirklichkeit.

Das neue Album „Moon Pix" klingt offener als die Vorgänger, weniger nach Indie-Rock.

Ich habe mit dem Material gearbeitet, das ich hatte: mein neues Selbstbewußtsein, meinen Mut, meine Kommunikationsfähigkeiten. Ich mußte sehr konzentriert sein, sehr schnell.

Wieso denn schnell?

Weil es in meinem Leben viele Menschen gibt, die mir wichtig sind. Musik ist die unwichtigste, na ja, nur eine Sache unter vielen in meinem Leben. Nur wenn ich auf Tour bin oder Interviews gebe, denke ich an Musik. Ich kaufe keine Platten, höre kaum welche. Was war noch mal die Frage? Ach so, ich hatte nur vier Tage Zeit in diesem Studio in Australien mit Mick und Jim (Turner und White von The Dirty Three).

Habt ihr denn vorher geprobt?

Nö, wir haben einfach auf Aufnahme gedrückt und sie haben zu meinen Liedern gespielt. Super, nicht? Das Lied, das mir am meisten bedeutet, „Colors And The Kids", habe ich im Studio am Klavier geschrieben. Vor kurzem habe ich zehn Coverversionen am Klavier aufgenommen, von Bob Dylan, Nina Simone, Velvet Underground und... Was denn noch? Ach so, das "Star Spangled Banner", die Nationalhymne. Die Lieder kommen wohl im Frühjahr heraus.

Es heißt, du seist eine Weltreisende. Stimmt das?

Fünf meiner Lieder beruhen auf einer spirituellen Erfahrung, die ich in Afrika hatte: Ein Alptraum, der mich verstehen ließ, daß ich mich für Politik interessieren müsse. Mein ganzes Leben lang hatte ich Alpträume, aber als ich aus Afrika zurückkehrte, war ich von ihnen gereinigt. Seitdem hatte ich nur noch einen Alptraum, im Oktober 1997. In dieser Nacht schrieb ich die anderen fünf Lieder und zwei Tage später starben zwei enge Freunde von mir, am gleichen Tag. All das weckte mich auf, und mein Freund war mit mir einer Meinung, daß ich diese Stücke aufnehmen müsse.

Ich sollte nicht davon sprechen, es ist sehr seltsam: Seit ich diese Lieder geschrieben habe, habe ich keine Alpträume mehr. Ich weiß nicht, ob das etwas mit der vierten Dimension zu tun hat. Das heißt, ich weiß es, aber ich frage mich, ob ich nicht den Verstand verliere. Die meisten meiner engen Freunde denken, daß ich psychische Probleme habe. Aber sie verstehen einfach nicht, daß ich vor fünf Jahren in Asien diesen Traum hatte, den ich in Afrika in Wirklichkeit wieder träumte.

Ich bin verloren in der intellektuellen Welt, manchmal sehr allein. Ach, vor einem Monat hatte ich doch noch mal einen Traum. Es war nicht mal wirklich ein Traum, es war Realität. Aber ich glaube sowieso, daß Träume Realität sind, sie sind die vierte Dimension, die Ewigkeit. In den Pupillen unserer Augen ist die Ewigkeit. Wenn du das Weiße und die Farbe der Augen im Licht siehst, siehst du ein Ende. Aber das Schwarze geht weiter, es ist ewig.

Ähem, wie erholst du dich?

Ich nehme ein Bad.

Interview: Felix Bayer Mo, 16. November, 21 Uhr, Knust