Massaker im Pflegeheim

Wie sich ein pensionierter Torero die Zeit vertreibt: La Guadrillas pechschwarze Komödie Justino im 3001-Kino  ■ Von Oliver Rohlf

in wahrlich beschissener Abgang: Jahrzehntelang hat Justino als solider „Puntillero“ in einer spanischen Stierkampfarena gewirkt. Als solcher war der kleine Mann dafür zuständig, den bereits besiegten Stieren per gezieltem Dolchstoß den völligen Garaus zu machen. Quasi der Konkursverwalter unter den Toreros. Nun ist er 62, ein wenig zittrig und wird mir nichts, dir nichts in den Ruhestand abgeschoben. Was er dort soll, weiß der alternde Held des spanischen Volkssports auch nicht. Dann als ehemaliger Stiertöter ist dem Rentner wider Willen außer einem blitzenden „Ehrendolch“ nur die völlige Abhängigkeit von seinen gutsituierten Kindern geblieben, und die betüteln ihren Papa wie einen senilen Staubfänger.

Tatsächlich wird Justino allmählich ein wenig komisch – wäscht nachts Geschirr ab, trinkt zu viel Cognac mit Fanta und verfällt beim familiären Abendbrot in beharrliches Schnarchen. Fehlt nur noch, daß er ins Bett macht. Doch Justino hat noch ein Ziel: Zusammen mit seinem alten Freund Sansoncito will der einstige Dolchträger auf nach Benidorm, einem Rentnerparadies am Meer, und dort acht Monate im Jahr nichts tun.

Was ein wenig nach einem rührseligen Sozial-Märchen über alte Menschen, die's noch einmal packen, riecht, basiert im weiteren auf Mord und Humor. Der spanische Regisseur La Guadrilla läßt in seinem preisgekrönten Erstlingswerk Justino – der Mordbube wahr werden, was der Untertitel verspricht. Kindliches und Mörderisches spielen hier ein fatales Tingeltangel, und verlieren tun immer die anderen. Das ist so bei Komödien, die den Beinamen „schwarz“ tragen. Auch bei Justino geht es darum, zu lachen, wenn andere auf absurde Weise ums Leben kommen. Und bei dem Schwarz-weiß-Streifen von 1994, der jetzt zum ersten mal in Hamburg zu sehen ist, sieht alles nach einer eigenartigen Form von sozialer Selbstverteidigung aus. Denn Justino (wortkarg und zielsicher: Saturnov Garcia) merkt, daß seine Dolchstoß-Technik auch bei Menschen wirkt und das nötige Kleingeld für Alltag und Vision sichert. Erst müssen Sohn und Schwiegertochter dran glauben, danach eine alte Passantin, die der schlitzende Senior erst vor zwei Gaunern rettet, um sie dann selber zu töten. Zwischendurch geht neben zwei Ordnungshütern noch die kleingeistige Nachbarin hopps, weil sie sich bei der Polizei über die zu laute Musik beschweren will.

All das vollzieht Justino mit einem „Was kann ich dafür?“-Gesicht und der altgedienten Eleganz des Puntillero – ein kurzer Stich, und schon ist Ruhe im Karton. Spätestens seit Frank Cappras Arsen und Spitzenhäubchen wissen wir, daß in der Kinowelt Ruhestand, Mord und der Dienst am Gemeinwesen durchaus in einem positiven Verhältnis zueinander stehen können. Für Justino und seinen ahnungslosen Freund Sansoncito (lieb und ängstlich: Carlos Lucas) bedeutet der gezielte Stoß die makabre Rückkehr ins selbstbestimmte Leben. Weg von der stereotypen Bösartigkeit von Altersheimen und ärztlich verschriebener Sesselpuperei, dem Abgeschobenwerden in die Bereiche institutionalisierter Fürsorglichkeit. Am Ende wird dann auch ein Massaker im Pflegeheim inszeniert.

Doch der Filmemacher La Guadrilla streift diesen Klotz sarkastischer Sozialkritik glücklicherweise nur ganz am Rande, denn mittendrin geht es um das überspitzte Aufeinanderprallen von Gerechtigkeit und Killer-Orgie. Denn am Schluß dieses makabren Roadmovies, wenn sich all die toten Menschen um Justino und Sansoncito türmen, verlieren die liebenswerten Greise nie ihr Ziel aus den Augen: Benidorm, dort, wo das Meer noch blau, die Strände weiß und die Touristen krebsrot sind.

Do, 12., 20 Uhr (mit spanischer Live-Musik); Fr, 13. bis Mi, 18. November, 20.30 Uhr, 3001.