Nachträglich ankreuzen

■ „Katastrophale Abrechnungspraxis“: Hamburger Pflegedienst vor Gericht

Die Unterschrift unter einem Dokument soll dessen Inhalt bestätigen. Daß die Signaturen unter den Abrechnungen des ambulanten Pflegedienstes „Medicur“ in Hamburg indes wenig darüber aussagen, welche medizinsche Versorgung, Betreuung und Alltagshilfe tatsächlich geleistet wurde, zeigte sich gestern vor dem Hamburger Amtsgericht. Das sollte ursprünglich den Vorwurf prüfen, ob ein „Medicur“-Einsatzleiter im November 1996 einer Pflegerin mit Kündigung drohte, falls sie sich weigere, mehr Leistungen als erbracht bei der Krankenkasse anzugeben. Statt sich jedoch mit diesem Fall zu beschäftigen, seufzte Richter Semprich, „haben wir eine katastrophale Abrechnungspraxis aufgeklärt“.

Die Krankenkassen bezahlen die Pflegedienste nicht nach Arbeitszeit, sondern danach, was in der abgerechneten Zeit getan wurde. Die Krankenschwester J. etwa sollte laut „Medicur“-Dienstplan einer Patientin Insulin spritzen, den Blutzucker messen und zudem die „Grundpflege“ leisten: Waschen und anziehen. Das jedoch hatte oftmals schon der Ehemann der Kranken erledigt. Deshalb hakte die Pflegerin diesen Punkt auf der Strichliste der Krankenkasse auch nicht ab. Darüber mußte sie vor ihrem Einsatzleiter Rechenschaft ablegen.

Andreas M., so behauptete die Frau vor der Polizei, habe ihr gedroht, daß sie den Pflegedienst in die Pleite und alle MitarbeiterInnen in die Arbeitslosigkeit treiben würde. Ihr werde gekündigt, sollte sie sich weigern, die Kreuzchen an der gewünschten Stelle zu machen. Andreas M. bestreitet, der Frau gedroht zu haben. Auch ein Kollege sagt aus, das sei „nicht unser Arbeitsstil“.

Vor Gericht wurde jedoch klar, daß es ein Leichtes wäre, gegenüber der Krankenkasse mehr Leistungen als erbracht abzurechnen. Zwar müssen die PatientInnen einmal im Monat die Liste unterschreiben, aus der sich ergibt, wann und wer sie gewaschen, angezogen und mit Medikamenten versorgt hat. Fehlen jedoch hier und da Kreuzchen, so Andreas M., tragen die MitarbeiterInnen diese später einfach nach. Die Liste wird dann von der Geschäftsführung an die Krankenkasse geschickt – ohne die abgewandelte Fassung noch einmal den PatientInnen zur Unterschrift vorzulegen. Der Prozeß wird fortgesetzt. Elke Spanner