Weihnachtskugeln

■ Klasse Gitarrenpop Samstag im Tower

Die „Andrew-Browers-Train-spotters“ ist eine jener Gruppen, deren CD noch ein dünnes, einsames Blatt beigelegt ist anstelle eines fetten, erfolgsverkündenden Booklets. Auf dem doch schon professionellen Foto sieht man Menschen, die isoliert auf Geröll kauern, unter einem drohendem Kirchenkreuz: „Outside the church“ heißt ein Lied dieser mitleiderregenden Menschen aus Liverpool und Saint Etienne. Doch irgendwie ist ihre Musik sakral. Wie bei einem ordentlichen Sünder liegen Selbstzerfleischung und Euphorie nahe beieinander. Richtig: Es geht um Gitarrenpop, ein bißchen wie Teenage Fanclub, The Silos,Frank Black. ABB allerdings leistet sich den Luxus eines Keyboards, das so tat, als sei es eine altmodische Hamondorgel. Dessen Bediener schlurfte oft so langsam von seinem seligen Akkord zum nächsten, als hätte er statt der Kopfwehtablette eine Schlaftablette erwischt. Aber manchmal perlen seine Melodien so hell wie Christbaumkugeln.

Die wichtigste Voraussetzung für Gitarrenpop ist ein Sänger, der zwar charismatisch ist, aber durch exzentrische Bewegungskultur nicht im geringsten starkultfähig. Auch die begnadete Stimme, die nur scheinbar im Hals sitzt, in Wahrheit aber in direkter Nachbarschaft zur Herzklappe wohnt, ist unverzichtbar. Browers wies beide Eigenschaften letzten Montag in der „Blue Moon Bar“ eindrücklich nach. Auch jene Mischung aus seltsamen, ja, sagen wir es ruhig: schroffen Melodiewendungen hier und da in der Gitarre und zu Herzen gehender Harmonik gelingt genrespezifisch. Am schönsten aber ist die Band, wenn Browers so zart dahinsingt, als würde er jedem Zuschauer einzeln seine Geheimnisse ins Ohr flüstern, doch dann den letzten Tropfen Seelenblut aus den Stimmbändern windet. Den so steinigen Weg von tiefer Melancholie zum Glück beschreitet er sicher wie ein erfahrener Fährtensucher. Und zwischendurch plätschert die Band easy listening dahin, als müßte man in der Hiltonhotelbar irgendwelche Snobs erwärmen. Nur Style Council haben diese Barnote ebenso schön dem Pop beirührt - nicht geschüttelt, würde 007 sagen. bk

14.11. im Tower, ab 22h