Sieg über das Böse

■ Regisseurin Pauls zeigt, wie man eine philosophische Idee in Bilder gießt: Eine gelungene Dramatisierung von Michael Endes „Momo“ im Stadttheater

“Wenn man sich das vorstellt, wie mutig die ist!“ meinte ein Mädchen ergriffen nach der Premiere von „Momo“ im Bremer Theater am Goetheplatz. Und das ist sie ja auch, das durch den Roman von Michael Ende weltberühmte Mädchen, das nicht weiß, wie alt es ist, und wo es herkommt, das den Kampf mit den grauen Herren, die den Menschen die Zeit stehlen wollen, aufnimmt und gewinnt. „Die Kinder sind unsere natürlichen Feinde“, sagen die grauen Herren mehrmals, und deswegen ist Momo auch eine einzigartige Identifikationsfigur.

Die Dramatisierung eines Romans mit Millionenauflage, der auch noch erfolgreich verfilmt wurde, ist ebenso dankbar wie undankbar. Die Bremer Schauspieldramaturgin Susanne Meister und die Regisseurin Irmgard Pauls haben das Buch geschrieben und dabei die Dialoge wortgetreu beibehalten. Das Bühnenwerk ist gelungen: Die Szenen sind kurz, trotzdem außerordentlich inhaltsreich. Ein Thema wie Momo birgt eine Schwierigkeit: Der Inhalt ist eine Idee, auch eine Abstraktion.

Dieses haarige Problem hat Irmgard Paulis im vergangenen Jahr mit „Dschungelbuch“ schon einmal erfolgreich gelöst. Auch in Momo gelingt es ihr, gestützt auf raffinierte Lichttechnik, eine ausgeklügelte Choreographie (Yoshiko Waki) und ein klares Bühnenbild (Giovanni Carluccio), eine Bildebene herzustellen, die jenseits des wirklich Gesagten den Inhalt transportiert. Da ist das atmosphärisch dichte Glück der Momowelt in ihrer Ruine, da ist die bedrohliche und tödliche Welt der grauen Herren mit ihren ruckartigen Bewegungen, da sind die zur Eile getriebenen Menschen, die sich höchstselbst entfremden. Immer wieder gelingt es Irmgard Paulis, daß die Bilder für sich selbst sprechen, wobei die Stilwechsel zwischen stilisierten, karikaturalen, realistischen Bewegungen immer auch durch sinnvolle Schnittechniken unterstützt werden.

Die Musik von David Malazonia zeichnet sich in ihrer Sparsamkeit ebenfalls dadurch aus, daß sie nicht zu einem einheitlichen Stil, sondern zu unterschiedlichen Tönen greift.Das Ganze lebt aber aus dem Zauber der Momo, den Ruth Brauer in Fülle mitbringt. Nicht selten ist es daneben bis peinlich, wenn Erwachsene Kinder spielen müssen, nicht so bei Ruth Brauer. Die junge Schauspielerin schafft es, mit nur wenigen, aber präzisen Bewegungen und einer mitreißenden Präsenz das Kind zu imaginieren, formt die Rolle ansonsten aber einzig und allein aus der Lebenshaltung, die sie hat, und die ist alterslos – auch wenn Ende mit seinem Roman nicht ganz zu Unrecht behauptet, daß nur noch Kindern die Erkenntnis über alles Schieflaufende in dieser Welt gelingt.

Alle anderen Schauspieler haben so viele Rollen, und in kaum einer sind sie wiedererkennbar, so daß hier ein generelles Lob über ihre Verwandelbarkeit ausgesprochen werden kann. Vielleicht ist das beste Barometer die Reaktion der Kinder. Sie folgten mucksmäuschenstill – bis sie schreiend eingriffen. Viele hatten das Buch gelesen. Eine meinte vorab: „Ich bin gespannt, wie Momo aussieht.“ Das ohrenbetäubende Gejohle als Begrüßung für den Beginn des zweiten Teils sprach für sich.

„Der Rauch ist Scheiße!“, hörte man mehrfach im Publikum, aber ohne ordentlichen Zigarrenqualm ist selbst die kurze Existenz der grauen Herren nicht darstellbar. Ute Schalz-Laurenze

Das Stück läuft bis Weihnachten etwa dreimal pro Woche, meist um 10h und 13h. Telefonverkauf: 3653-333