Bremer Behinderte sollen „Sparmasse“ sein

■ Sozialressort will Behinderten die Pflegegelder streichen / Verhandlungen mit Parlamentariern laufen

Der Spardruck nimmt in Bremen mittlerweile seltsame Formen an: Zum Kuhhandel treffen sich heute Vertreter von Behindertenverbänden mit Bremer Parlamentariern. Verhandlungsmasse ist die Frage, wieviel Hilfe behinderte Menschen in Zeiten riesiger Haushaltslöcher eigentlich noch verdient haben. Hintergrund des anberaumten Handels: Sozialsenatorin Tine Wischer (SPD) will die Landespflegegelder abschaffen – für rollstuhlgerechte Wohnungen oder Haushaltshilfen gäbe es dann keinen Pfennig mehr. Diese Pläne lehnten die Sozialpolitiker bislang ab: „Jetzt müssen wir gemeinsam verhandeln, was noch finanzierbar ist“, so SPD-Sozialpolitikerin Elke Steinhöfel, die das Treffen initiiert hat.

Seit Monaten sorgen die Sparpläne für Aufregung. Sozialsenatorin Wischer will das Landespflegegeldgesetz (siehe Kasten) abschaffen, in ein abgespecktes Landesblindengesetz umwandeln und so ihr gebeuteltes Ressort gesundsparen. Die Sozialpolitiker hatten den Gesetzentwurf im Sommer vertagt – wegen der Brisanz des Inhalts. Behindertenverbände haben jetzt ein eigenes „Landesbehindertengesetz“ vorgelegt, das heute zur Debatte steht.

Danach sollen nicht nur Blinde, sondern auch Gehörlose und schwerstbehinderte Menschen Pflegegelder erhalten. Für blinde Menschen sieht der Entwurf Leistungen zwischen 300 und 750 Mark pro Monat vor, für Gehörlose und Schwerstbehinderte von bis zu 300 Mark. Das gesamte Paket kostet das Land allerdings drei Millionen Mark mehr als bisher. „Das sind im Vergleich zu anderen Vorhaben in der Stadt aber nur Pea-nuts“, meint Gesetzesinitiator Horst Frehe vom Verein „Selbstbestimmt Leben“.

Das sehen die großkoalitionären Sozialpolitiker allerdings schon jetzt anders: „Kritisch prüfen“ müsse man die Forderungen, meint die SPD-Sozialpolitikerin Elke Steinhöfel; schließlich stehe dem Sozialressort das Wasser bis zum Hals. „Sensibel gucken“ will sie trotzdem. Aber schon jetzt ist für sie eigentlich klar: Für blinde Menschen und Gehörlose sehe sie die finanziellen Forderungen ja ein. Dafür hätten auch andere Bundesländer Hilfsgesetze erarbeitet. Doch bei der Hilfe für Schwerstbehinderte müsse man „genauer hinsehen. Das hat kein anderes Land. Wir dürfen doch da als Sanierungsland keine Sonderrolle einnehmen“, sagt sie.

Auch die CDU-Sozialpolitikerin Silke Striezel hat ganz die Finanzen im Auge: „Wo sollen wir das ganze Geld denn hernehmen“, fragt sie. Die Forderungen seien zwar „legitime Anliegen“, man wolle auch „niemanden ungerecht behandeln“. Aber: „Wir müssen die Kirche im Dorf lassen.“ Im Klartext heißt auch das: Ja zu Hilfen für Blinde und Gehörlose, aber Nein zur Unterstützung für Schwerstbehinderte – weil bei ihnen stark die Pflegeversicherung greife.

Das aber leuchtet den Behindertenvertretern nicht ein: „Die Blinden werden seit Jahren bevorteilt, weil sie immer die beste Lobby haben“, kritisiert Horst Frehe von „Selbstbestimmt Leben“. Außerdem hätte man mit den vorgelegten 750 Mark bereits ein entsprechendes Zugeständnis gemacht. Generell hätten aber alle Behinderten ein Recht auf staatliche Hilfe.

Aber ihn wurmt noch etwas anderes: Inoffiziell ist schon eine Behinderten-Stiftung im Gespräch, die SPD-Sozialpolitikerin Steinhöfel quasi als Entschädigung angedacht hat. Doch damit wollen sich die Betroffenen nicht abspeisen lassen. Wenn die Verhandlungen schlecht ausgingen, werde man die fast 5.000 betroffenen Menschen zum Protest auf die Straße jagen.

Katja Ubben