Seelenverwandtschaft Von Fanny Müller

Kurz bevor das Semester beginnt, sind natürlich alle Kollegen noch mal schnell krank geworden und Herr Behrmann bemühte sich persönlich in mein Büro – ob ich einen Teil der Beratungen für unsere Kurse übernehmen wolle. „Auf gar keinen Fall“, war das erste, was mir einfiel. Das zweite, was mir einfiel, war, daß ich ihn ja demnächst um eine Gehaltserhöhung anhauen will, und da erschien es mir doch angebrachter, mein höchstes Entzücken über diese Zumutung zum Ausdruck zu bringen.

Kaum war Klient Nummer Eins, ein Herr mittleren Alters, der ganz offensichtlich annahm, daß ich Probleme mit den Ohren habe, in meinem Büro aufgelaufen, und kaum hatte ich ihm ein, zwei Kurse und deren Bedingungen erläutert, da schrie er bereits, ich sei große Klasse, ach, was sage er da, su-per- gros-se Klasse, und hätte ihn su- per beraten – wir zwei seien „akkurat von einem Schlag“. Direkt vorher hatte er mir noch ins Ohr gebrüllt, er sei eigentlich ein „Hippie“ – keine Ahnung, ob damit ein richtiger gemeint war, oder nur so eine Art Wochenendhippie, denn er trug weder einen selbstgewebten Kittel, noch roch er nach Räucherstäbchen. Außerdem, fuhr er in derselben Lautstärke fort, seien wir ein Jahrgang – woher er das wissen wollte, weiß ich wirklich nicht – und teilten eine Art Seelenverwandtschaft – und das nur, weil ich kurz zuvor doch ein bißchen schmunzeln mußte, als er mir mit schmetternder Stimme zurief, er werde seinem Chef bald eins in die Fresse hauen, er wäre jetzt langsam so weit, ob ich schon einmal einem Löwen mit dem Aszendenten Schütze begegnet sei? Bevor ich noch Pipp oder Papp sagen konnte, lieferte er schon die Antwort, die mich gar nicht überraschte: Es sitze gerade einer vor mir. Der sich zudem nicht verarschen lasse, lärmte er weiter, und dem das Kämpfen Spaß mache. Der alte Sack jedenfalls – sein Chef – würde es dann schon merken und danach nichts mehr. Nichts! Für immer! „Seelenverwandtschaft...?“ warf ich mit schwacher Stimme ein. Dochdochdoch! Das mit der Seelenverwandtschaft habe er an dem Blitzen in meinen wunderschönen braunen Augen gleich bemerkt, schrie er. Das könne ich nicht verbergen. Ich müsse es auch nicht zugeben. Das sei gar nicht nötig. Er sei jedenfalls tip-top zufrieden mit mir. Das müsse er jetzt mal ganz ehrlich sagen, und das sei als echtes Kompliment gedacht, ohne Scheiß. Und darauf sollten wir unbedingt heute abend einen heben, das sei ja wohl klar. Er kenne da ein lauschiges Plätzchen, wo wir uns mal in aller Ruhe über alles unterhalten könnten. „Mein Mann...“ konnte ich gerade noch halb besinnungslos stammeln. Ein Glück, daß das sonst keiner gehört hat; ich gelte in der Firma als Hardcore- Emanze. „Männer!“ tobte er, „Hahaha!“ Männer seien dazu da, daß man sie gleich vergesse. „Ja eben“, murmelte ich.

Jetzt habe ich das Büro mit Bernhard getauscht, der den Auftrag hat, zu sagen, ich sei vorübergehend ausgewandert oder gestorben oder niedergekommen, ganz egal. Mit Herrn Behrmann habe ich inzwischen auch abgesprochen, daß ich keine Beratungen mehr übernehme. Ich hatte mir überlegt, daß ich eigentlich gar nicht so viel Geld brauche. Was soll ich mir schon dafür kaufen? Winterklamotten habe ich genug, und Sommerklamotten braucht man ja quasi gar nicht mehr.