Spiegel des schwulen Lebensgefühls

Vor zwanzig Jahren wurde der Buchladen „Prinz Eisenherz“ gegründet. Es war der erste eigens für homosexuelle Kundschaft eingerichtete. Der Laden ist längst zur Institution geworden – nicht nur in Berlin. Ein Rück- und Ausblick  ■ von Jan Feddersen

Berlin, Westteil, 1978. Neun Jahre zuvor war der Paragraph 175 reformiert worden. Homosexualität war nun nicht mehr verboten. Die westliche Enklave in der DDR war die Homometropole der Republik. Junge schwule Männer flüchteten oft vor der ersten Musterung in die Frontstadt, um der Bundeswehr und deren heterosexuellen Männerritualen samt Detlev-(„Dättläff“)-Scherzen zu entgehen: bloß nicht erkannt werden.

In Berlin begann die moderne deutsche Schwulenbewegung. Ihre Parole: „Macht euer Schwulsein öffentlich!“ Nicht mehr schämen, weil Homosexualität nichts ist, wofür Scham lohnt. Die Gruppe, die diesen Prozeß lautstark förderte, war die Homosexuelle Aktion Westberlin, unter Experten kurz HAW genannt. Was sie forderte, war mehr als eine Nische, in der sich gut Versteck spielen ließ. Und aus der ging auch der erste Laden hervor, der nichts als schwule Literatur verkaufte.

Heute vor zwanzig Jahren wurde er in der Bülowstraße eröffnet. Und zwar mit durchsichtigen Fenstern. Niemand mußte klingeln, um hineinkommen zu können. Ein schwules Geschäft, das nicht zum Underground gehören wollte. Und das hat ältere Homos verunsichert. „Muß man das denn so offen zur Schau stellen?“ fragten sie. Oder: „Wir wecken doch damit nur schlafende Hunde.“

„Prinz Eisenherz“ nannte sich das Unternehmen, weil „Magnus Hirschfeld“ – Vater der Homobewegung in der Weimarer Republik – zu beschwerlich klang und es andere Idole mit gutem Namen nicht gab. Von den fünf Gründermännern ist heute nur noch Peter Hedenström mit dabei. Der mittlerweile Fünfzigjährige darf auf eine Erfolgsgeschichte zurückblicken.

Der „Prinz Eisenherz“-Buchladen, seit langem in der Bleibstreustraße und damit im bürgerlichen Bezirk Charlottenburg ansässig, war von der ersten Minute an mehr als ein Ort, an dem für eine spezielle Kundschaft ein zielgruppenorientiertes Angebot bereitsteht. „Wir haben uns immer als Teil der Schwulenbewegung verstanden. Daher rührt unser Anspruch, und der ist bis heute geblieben“, sagt Peter Hedenström.

Mitgründung anderer schwuler Projekte

Erstens hält man sich zugute, stets 120.000 Bücher zum Thema Homosexualität liefern zu können; zweitens fühlt sich das Kollektiv verpflichtet, die Programme aller deutschsprachigen schwulen Verlage komplett vorrätig zu haben. Die meisten von ihnen sind wie „Prinz Eisenherz“ Projekte aus den siebziger und achtziger Jahren: der „Rosa Winkel Verlag“, der „Quer Verlag“, der Verlag des einstigen „Prinz Eisenherz“-Mitgründers Bruno Gmünder ebenso.

Und noch immer zahlen sich die Mitarbeiter des Ladens alternative Gehälter – und das müssen sie auch. Unumwunden gibt Peter Hedenström zu, daß die offenherzigere Haltung konventioneller Buchhandlungen homosexuellen Konsumenten gegenüber die Marktstellung des „Prinz Eisenherz“ bedroht.

Wer etwa im südwestlichen Bezirk Neukölln wohnt und ein Comicbuch wie Ralf Königs „Bullenklöten“ haben will, kann zur Karstadtfiliale an den Hermannplatz fahren und darf sich den weiten Weg in die Nähe des Ku'damms sparen.

Hedenström tröstet sich mit feinem Selbstbewußtsein: „Das sind ja immer nur Ecken. Das volle Programm haben wir.“ Zudem kommt ein in zwanzig Jahren gewachsener Ruf, freundlich bedient und freimütig auch mit Tips über das Szeneleben bedacht zu werden. Und keine Kaufhauskette kann bieten, was „Prinz Eisenherz“ über das Schriftwerk hinaus offeriert: Devotionalien für den Alltag moderner homosexueller Bürger. Also Aufkleber (mit dem Aids-Regenbogen, dem Rosa Winkel oder dem Lambdazeichen), Postkarten, Teddys, Schwanzringe, netter Kitsch & niedliche Kunst; manchmal drastische, locker-sexuelle Darstellungen; auch Broschüren politischer Art aus allen Spektren der Homobewegung; Sampler mit Grand-Prix-d'Eurovision-Hits aus vierzig Jahren, CDs von Dalida, Ingrid Caven, Rosenstolz und anderen schwulen Ikonen.

Unverkäuflich bis zur verdienten Rente

Darüber hinaus – Peter Hedenström ist bei diesem Gedanken nicht ohne Stolz – war vor dem „Prinz Eisenherz“, was die moderne Homoszene der Stadt anbetrifft, nicht viel los. Rund um die Buchmänner wurde das Stadtmagazin Siegessäule gegründet, fanden Autoren wie Detlev Meyer oder Michael Sollorz erste Foren. Die ersten Schreckensmeldungen zu Aids Anfang der achtziger Jahre wurden am ehesten von den Leuten im „Prinz Eisenherz“ moderiert; die Homobewegung der siebziger Jahre siechte damals organisatorisch. Hedenström: „Wir ahnten schnell, daß es keine Krankheit ist, die sich heterosexueller Propaganda verdankt.“

Peter Hedenström gab 1978 auf der Stelle sein Germanistikstudium auf, weil er als Teilhaber des „Prinz Eisenherz“ seine Bestimmung gefunden hatte. An einen Handelsriesen wie Hugendubel oder Kiepert würde er den Laden nie verkaufen.

„Ich hatte ja Angebote, auch von Verlagen, aber mir macht es immer noch Spaß.“ Unabhängigkeit als das kostbarste Gut. „Wir wollen nicht, daß jemand über uns bestimmt, was im Regal stehen darf und was nicht. Wir sind immer gut damit gefahren, nur uns selbst zu befragen.“

Und womöglich auch auf die sich ändernden Wünsche der Kunden zu achten. Die mehr und mehr Unterhaltungsstoff wünschen. Und nur wenig Theoretisches. Die vor zwanzig Jahren noch heißbegehrte Ware geht nicht mehr; sie steht nicht umsonst im hinteren Teil des „Prinz Eisenherz“ – aber im Gegensatz zu anderen Buchhandlungen müssen die aktuellen Titel, beispielsweise Beiträge zur Gender- und Queeringdebatte, nicht erst geordert werden.

Was die Frage aufwirft, ob auch Lesben den Laden aufsuchen. Ja, aber nicht sehr viele. Mehr immerhin als vor Jahren, „als lesbische SM-Pornos in Frauenbuchläden nicht zu haben waren“, sagt Peter Hedenström. Das Angebot für Lesben werde erweitert, aber sein Haus könne nicht ersetzen, was eine moderne Frauenbuchhandlung bieten könne.

Der „Prinz Eisenherz“, bislang von staatsanwaltschaftlichen wie von neonazistischen Attacken verschont geblieben („manchmal hat einer gegen das Schaufenster gespuckt“), ist wie früher Teil eines Lebensgefühls vieler Berliner: „Seriös und offen schwul.“