„Ey, ey, wir haben einen Jesus“

Nach dem 1:0 über den Hamburger SV ist die Heilige Dreifaltigkeit beim 1. FC Kaiserslautern komplett – und Gott Otto gilt den Menschen wieder als unfehlbar  ■ Von Günter Rohrbacher-List

Kaiserslautern (taz) – Ist Otto Rehhagel unfehlbar? Diese Frage, fast schon blasphemisch, hätte man so vor einem guten halben Jahr gar nicht erst stellen dürfen. Doch nach der Meisterschaft des 1. FC Kaiserslautern kam erst die Sommerpause und dann die Zeit der Transfers. Was folgte, waren erste Zweifel an den Qualitäten der Neuen. Und dann kam der Wechselfehler, der Ottos Thron auf dem höchsten Pfälzer Berg erschütterte.

Würde ihm sein Fauxpas einen fortdauernden Knacks gegeben haben? Würden ihm nicht künftig sämtliche Wechsel mißlingen? Würde das „glückliche Händchen“ in den wilden Streik treten? Kurzum: Wäre das Denkmal des durch Aufstieg und Meisterschaft schier Gott ähnlich an Karl-Heinz Feldkamp vorbeigezogenen Trainers nun nicht für alle Zeiten irreparabel beschädigt?

Lange Fragen, kurze Antwort: Nein. Denn der 1. FCK verlor zwar mit 0:4 bei den Bayern, blieb aber sonst ohne Niederlage und hat mit dem 1:0 gegen den Hamburger SV seinen vierten Sieg in Folge erspielt. Was bei dem Chaos auf dem Platz, vor allem in der durch Kadlec' Weggang führungslos gewordenen Abwehr, gar nicht selbstverständlich war.

Nach dem Unentschieden gegen Wolfsburg vor einem Monat wähnte man den Meister schon im Mittelmaß; jetzt hat man 21 Punkte und konkurriert mit 1860 München (23) und Leverkusen um den Rang des Hauptverfolgers der Bayern. Das heißt: Man strebt konsequent in Richtung Champions League, Ausgabe 1999/2000.

Weil die Ägypter Samir Ibrahim und Hany Ramzy als Liberi patzten und Ciriaco Sforza für seine Lieblingsposition im Mittelfeld noch nicht fit genug ist, kreierte Rehhagel sein magisches Abwehrdreieck mit dem Schweizer, der die Übersicht hat und den beiden vielgeschmähten Arabern, die Sforza als Dirigenten der Defensive akzeptieren. Den Ausfall von Schjönberg und Ratinho sowie anderer inzwischen wieder genesener Stammspieler kompensierte Rehhagel mit einem erstaunlichen Mut zur Jugend. Mit Michael Ballack, Thomas Riedl, Marco Reich, Pascal Ojigwe und Carlos de Jesus Junior stand zuletzt fast eine halbe U23 auf dem Spielfeld und machte ihre Sache gut: Ballack schoß ein Tor gegen Rostock, Riedl eines in Eindhoven, Reich traf zu Hause gegen PSV, und das spielerische Glanzlicht von Junior (er war an allen drei Toren beteiligt) im gleichen Spiel verzückte die Zuschauer wie schon lange nicht mehr.

Wurde Rehhagel – es ist noch nicht allzu lange her – einst kritisiert, er setze zu sehr auf die „Alten“, so demonstriert er heute ein fast waghalsiges Vertrauen in die „Jungen“ und in seine in ihrer Qualität ernsthaft angezweifelten und fast schon verzweifelten Neuzugänge. Doch Samir und Ramzy machten, geschützt vom mal wieder genialen Sforza, gegen den HSV ihr bislang bestes Spiel, und Uwe Rösler gelang, gegen einen allerdings schwachen Gegner, endlich sein erstes Bundesligator für den 1. FCK.

Otto gut, alles gut? Nun, wenn es denn nicht so läuft, wenn es „schwierig wird“, wie Rehhagel das nennt, greift er zu einem Trumpf, den ihm Ex-Manager Hans-Peter Briegel hinterlassen hat – den vom belgischen Eendracht Aalst geholten Brasilianer Carlos de Jesus Junior (21).

Der junge Mann meint zwar, er spiele im Moment nur, „weil viele verletzt sind“. Daß die Fans auf der Westtribüne ihn freilich mit dem für ihn abgewandelten Pavel-Kuka-Song begrüßen und „Ey, ey, ey – wir haben einen Jesus...“ skandieren, macht ihn, der nur fünf Minuten vom Betzenberg entfernt wohnt und deshalb zu Fuß zum Training kommt, schlicht „stolz“.

Daß er eigentlich lieber Junior genannt werden will? Vergeßt es! Es schert längst keinen mehr, ihren Jesus lassen sie sich nicht mehr nehmen. Denn alle sind froh, daß die Heilige Dreifaltigkeit auf dem Betzenberg nun komplett ist: Gott Otto, Sforza, sein Spiritus rector und Jesus, der Sohn des Allmächtigen.

1. FC Kaiserslautern: Reinke – Sforza – Ramzy, Samir – Buck, Riedl, Ballack, Reich (60. de Jesus), Wagner (46. Rösler) – Marschall, Hristov (41. Rische)

Hamburger SV: Butt – Vogel (85. Dembinski) – Hoogma, Hertzsch – Böger, Fischer, Ernst (75. Straube), Groth, Hollerbach – Yeboah, Kirjakow (46. Dahlin)

Zuschauer: 40.000; Tor: 1:0 Rösler (82.)