Was war noch gleich Humor?

Dreimal schon inszenierte Vicco von Bülow sogar seine Fernseh-Geburtstagsjubiläen selbst. „Loriots 75. Geburtstag“ aber (21.45 Uhr, ARD) findet ohne ihn statt  ■ Von Christoph Schultheis

Der Mann, der mal ein Mainzelmännchen gezeichnet hat, das kichernd seine Titten zeigt, wird heute 75.

Aus diesem Grund hat die ARD ihr Programm kurzfristig geändert und zeigt nicht, wie noch am 12. 11. 1983 anläßlich seines damaligen Wiegenfestes angekündigt, eine Wiederholung des „festlichen Finales von Loriots 60. Geburtstag“ aus dem Münchner Olympiastadion. Nein, der kleine ARD- Sender Radio Bremen, schon immer zuständig für die Miniaturen des 75jährigen, macht's lieber dem großen Bruder WDR nach, der im Juni Jürgen von der Lippe zum 50. ein hingehunztes TV-Ständchen spendierte. Statt des 15 Jahre alten Geniestreichs gibt es nun auch aus Bremen bloß eine 45minütige Gratulation, in der ein knappes Dutzend Prominente (darunter leider nicht nur Idealkomplizin Evelyn Hamann und Kollege Gerhard Polt, sondern auch namhafte Nullhumoriker wie Walter Jens, Günter Jauch und Hellmuth Karasek) sagen dürfen, was ihnen zu Loriots „umfassendem Werk“ und „umwerfendem Witz“ einfällt.

Das ist schade. Einerseits jedenfalls. Meldet sich doch das Geburtstagskind selbst, wie die zuständige Redaktion (die bis zur letzten Sendeminute noch eifrig am Interviewreigen bastelte) lieblos verlauten ließ, diesmal nicht zu Wort und wollte an der Entstehung der nunmehr bereits vierten „Loriots Geburtstag“-Folge in keiner Weise beteiligt sein: „Loriot hat sein Fernsehgesamtwerk 1996 abgeschlossen“, hieß es einsilbig.

Wenn man sich aber andererseits vergegenwärtigt, daß Otto Waalkes, der zweite große TV-Komiker vergangener Tage, noch am letzten Freitag nach der großen ARD-„Ein Herz für Kinder“-Gala eine geschlagene Stunde lang über die „Aftershow-Party“-Bühne gehüpft war und Straßenfestklassiker wie „Satisfaction“ und „Born to be wild“ ins Nobelhotelmikro geröhrt hatte, dann stimmt Loriots Verweigerung regelrecht versöhnlich. Und das nicht allein mit Blick auf Loriots langjährige Wum-, Wendelin- und Wohltätigkeit für irgendwelche ZDF-Stichtage („...Samstag in acht Tagen!“) und seine in Titel, Thema und Temperament ohnehin schon recht müde anmutenden Kinospätwerke „Ödipussi“ (1988) und „Papa ante Portas“ (1991). Nein, was gäbe es wohl noch zu sagen, wenn die Zuschauer Pointenklassiker wie „Das Bild hängt schief“ oder „Ein Klavier, ein Klavier!“ vorzeitig in deutsche Wohnstuben ejakulieren, weil der Blick auf Einzelsketch und Gesamtwerk längst ein historischer geworden ist? Wie ließen sich Loriots langatmig-verschraubte Grotesken über Herren und Damen jenseits ihrer besten Jahre noch in ein Medium einpassen, in dem Humorformate „Quatsch Comedy Club“ heißen und wahrscheinlich selbst Kurzzeitgedächtniskabarettisten wie Michael Mittermeier oder selbstverliebte Karrieristen wie Thomas Herrmann einen Loriot womöglich gar Vorbild nennen könnten? Und wenn die Sat.1-„Wochenshow“-Crew während ihrer augenblicklichen Zenit-Überschreitung schon Loriot-Legenden verwurstet, verweist das eben längst nicht mehr auf die Größe des Einfalls, sondern ausschließlich auf die Einfältigkeit der Enkel.

Daß man über manche Loriot- Sketche („Das Monster“!) auch noch beim zehnten Mal mehr staunt als lacht, dafür hatte der Mann, der mal ein Mainzelmännchen gezeichnet hat, das kichernd seine Titten zeigt, in einer kleinen Wirklichkeitshumoreske vor 15 Jahren schon eine einleuchtende Erklärung vorgelegt:

„Ich meine“, räsonniert Evelyn Hamann darin, „man sollte die günstige Gelegenheit nutzen und einmal die Frage in den Raum stellen: Was ist Humor? Oder besser: In welchem Verhältnis zum Fernsehen hat – oder darf – Humor und Satire, die ja als wichtige Bestandteile in ihrer Aufgabe durch – also im – Fernsehen zu sein sind, zu stehen ... haben ... zu sein haben?“ – „Ich meine“, antwortet daraufhin zunächst Heiner Schmidt aus dem Loriot-Ensemble, „da geht schon die Frage am Thema vorbei. Das Problem liegt, und nur das interessiert doch die Zuschauer, in den Begriffen Humor und Satire als geistige Haltung integriert in die Bestandteile ihrer Aufgabe im Rahmen des Fernsehens. Und wenn ich noch einmal auf das Thema Satire zurückkommen darf: Mir scheint, es geht nicht ohne eine Definition des Komischen an sich, ohne diese Einigung über die Auslegung der Grundbegriffe ist weder Humor noch Satire in den Griff zu kriegen. Also: Was ist Komik? Ich vermisse auch eine Klärung des Begriffes Lachen.“ („Ich lache gern mal, wenn's grade paßt“, pariert daraufhin Kollege Bruno W. Pannek. Aber das nur am Rande.)

„Loriot“, fragt die Hamann kurze Zeit später den sichtlich angetrunkenen Jubilar selbst, „wie würden Sie die Begriffe Humor und Komik definieren?“ – „Ich bin dafür“, antwortet der Komiker Vicco von Bülow, „muß aber nicht“ – und fällt vom Sofa.