: Ein unkontrollierter Staat im Staat
■ Zur Mitarbeiterwerbung war Prags Geheimdienst jedes Mittel recht
Über dem Prager Hradschin wehte noch die Hakenkreuzfahne, als in der ostslowakischen Stadt Kaschau, dem provisorischen Sitz der tschechoslowakischen Regierung, am 17. April 1945 das Dekret über die Gründung des „Korps der nationalen Sicherheit“ (SNB) erlassen wurde. Seit seiner Gründung betrachtete die Kommunistische Partei (KPČ) den SNB als ihr Werkzeug. Auf Führungsposten und im angegliederten Staatssicherheitsdienst (STB) wurden Mitglieder der KP, Angehörige der Partisanenbrigaden oder tschechische und slowakische Agenten des sowjetischen Sicherheitsdienstes NKWD berufen.
Offiziell unterstand der Staatssicherheitsdienst dem Innenministerium. Bereits vor der Machtübernahme der KP im Februar 1948 wurden alle wichtigen Entscheidungen über den STB vom „Sicherheitsfünfer“ im Sekretariat der KP – Generalsekretär der Partei Slánsky, Innenminister Nosek, Jindrich Veselý, Karl Sváb und Emil Hrsel – getroffen. Dort wurde bestimmt, wer verhaftet oder liquidiert werden sollte.
Der STB wurde ein unkontrollierter „Staat im Staat“. Seine ersten Opfer waren politische Gegner der KP. Schon im Februar 1948, noch bevor die kommunistische Regierung in ihr Amt eingeführt wurde, hatte der STB die ersten Verhaftungen vorgenommen. Viele Opfer starben nach „Verhören“. Aber nicht nur politische Gegner oder „ideologische Feinde“ aus den Reihen der Geistlichen, sondern auch Tausende Tschechen, die als „Klassenfeinde“ eingestuft wurden, verschwanden in Gefängnissen oder „Arbeitslagern“. In Schauprozessen wurden offiziell 200 der Angeklagten zum Tode, Tausende zu langjähriger Haft verurteilt.
Zwar wurden die Vorschriften über Aufgaben und Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes bis zum Sturz des kommunistischen Regimes 1989 mehrmals modifiziert, aber seine Struktur blieb erhalten.
Die Erste Hauptverwaltung war für die Auslandsspionage zuständig. Ihre Offiziere führten Agenten im Ausland. Für die Erste Hauptverwaltung müßte also auch der frühere Wiener Bürgermeister Helmut Zilk gearbeitet haben. Allerdings sind die Akten dieser Hauptverwaltung nicht veröffentlicht worden. Deshalb wird vermutet, daß viele der Agenten der Ersten Hauptverwaltung im Ausland weiter für Prag arbeiten.
Die Zweite Hauptverwaltung mit zwölf Abteilungen hatte zwei Hauptaufgaben: den „Kampf“ gegen den äußeren und den „inneren“ Feind. Der „äußere Feind“ – das waren Mitarbeiter ausländischer Geheimdienste in der Tschechoslowakei. Der „innere Feind“ waren Gegner des kommunistischen Regimes. Die Dritte Hauptverwaltung war der Militärische Nachrichtendienst. Seine Agenten waren auch im Grenzgebiet zur Bundesrepublik und Österreich aktiv. Neben den drei Hauptverwaltungen hatte der Dienst noch sieben Verwaltungen. Die VI. Verwaltung war für Technik zuständig. Ihre Mitarbeiter installierten in Dissidentenwohnungen Wanzen.
Kurz nach der kommunistischen Machtübernahme wurde die erste Anleitung für die Werbung der Agenten aus der Zivilbevölkerung herausgegeben. Die zukünftigen Mitarbeiter wurden in drei Kategorien eingestuft: Agent – Information – Resident. Ab 1950 kam der „Inhaber einer konspirativen Wohnung“ hinzu. Bis November 1989 wurden drei weitere Instruktionen für die „Operative Arbeit des Staatssicherheitsdienstes“ herausgegeben. Dort wird zugegeben, daß zur Anwerbung der Informanten auch „kompromittierende Mittel“ angewandt werden dürfen, wie der Vorwurf sexueller Ausschreitungen. In den 50er Jahren und Anfang der 60er hatte der Staatssicherheitsdienst zahlreiche Mitarbeiter angeworben. Es wird vermutet, daß unter den politischen Häftlingen dieser Jahre bis zu 20 Prozent eine Verpflichtung zur Mitarbeit unterzeichnet hatten, um freizukommen. Nach Angaben der II. Hauptverwaltung hatte diese zum 31. Oktober 1989 1.575 Agenten, fünf Residenten, 112 konspirative Wohnungen, 82 „geliehene“ Wohnungen und 1.292 Vertrauensleute. Am 15. Februar 1990 wurde der Staatssicherheitsdienst aufgelöst. Rudolf Ströbinger
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