Ruandas Gefängnistore öffnen sich

Die Regierung kündigt an, 31.000 Völkermordverdächtige aus den überfüllten ruandischen Gefängnissen zu entlassen. Die innere Liberalisierung ist eine direkte Folge der militärischen Erfolge Ruandas im Kongo  ■ Von Dominic Johnson

Die Regierung von Ruanda leert ihre Gefängnisse. 31.000 Häftlinge – etwa ein Viertel der Gesamtzahl – sollen demnächst entlassen werden, weil ihre Anklageschriften nicht für einen Prozeß ausreichen. Über 125.000 Menschen sitzen in den hoffnungslos überfüllten ruandischen Gefängnissen unter dem Vorwurf der Beteiligung am Völkermord von 1994 ein.

Die Entlassungswelle betreffe „Leute ohne Dossiers oder genügend Beweise für ihre Festnahme“, sagte Patrick Mazimhaka, Minister im ruandischen Präsidialamt. Er bezifferte gegenüber Nachrichtenagenturen die Gesamtzahl der seit 1994 bereits Entlassenen auf 34.000, davon 3.700 im Laufe dieses Jahres. Im Oktober hatte die Regierung außerdem die Freilassung von weiteren 10.000 Häftlingen angekündigt. Die allermeisten der ruandischen Häftlinge gelten als „kleine Täter“ beim Völkermord von 1994, als über 800.000 Menschen, hauptsächlich Angehörige der Tutsi-Minderheit, von Hutu-Soldaten und Milizen getötet wurden. Da Ruandas Justiz personell und finanziell völlig unzureichend ausgestattet ist, hätte es rechnerisch Jahrhunderte gedauert, alle Häftlinge korrekt vor Gericht zu stellen. Ausländische Partner der ruandischen Regierung fordern daher seit langem, nur noch die Drahtzieher und Organisatoren der Massenmorde von 1994 vor Gericht zu stellen und den Rest zu amnestieren – zumal das ruandische Völkermordgesetz von 1996 Strafminderung im Gegenzug für ein Schuldeingeständnis vorsieht. Zudem sind 6.200 der Häftlinge nicht einmal des Mordes beschuldigt, sondern lediglich des Diebstahls und der Plünderung, worauf höchstens vier Jahre Gefängnis stehen – eine Zeit, die sie größtenteils schon abgesessen haben.

Daß Ruandas Regierung sich nun zu Massenentlassungen in der Lage sieht, hat mit einer Entspannung der innenpolitischen Situation zu tun. Die Angriffe von ruandischen Hutu-Milizen aus der benachbarten Demokratischen Republik Kongo sind seit Beginn der von Ruandas Armee unterstützten Rebellion im Osten des Kongo im August stark zurückgegangen. Im unruhigen Westen Ruandas hat die Regierung nach UN-Angaben über 630.000 Menschen aus ihren Einzelgehöften in Dörfer zusammengetrieben, wo sie von internationalen Hilfsorganisationen versorgt werden sollen. Diese „Verdorfungspolitik“, die vor allem der besseren militärischen Kontrolle der Region dient, stößt bei Geberländern, mit denen Ruanda derzeit in Verhandlungen ist, auf Mißfallen. In diesem Zusammenhang kann eine Gefangenenfreilassung als ruandisches Entgegenkommen gewertet werden. Die Regierung liberalisiert außerdem die Aktivitäten politischer Parteien, will demnächst Kommunalwahlen abhalten und betreibt die Umerziehung der Hutu-Landbevölkerung in Jugendcamps. Hutu-Oppositionelle werfen ihr jedoch vor, auch Zwangsrekrutierungen vorzunehmen, um Ruandas Armee im Kongo-Krieg zu verstärken.

Die innenpolitische Entspannung in Ruanda geht mit einer zunehmenden außenpolitischen Selbstsicherheit einher. Nach Monaten des Leugnens gab Ruandas Vizepräsident Paul Kagame letzte Woche erstmals das militärische Eingreifen seines Landes im Kongo zu. Daß Kagame sagte, der Militäreinsatz im Kongo diene lediglich der Abwehr von Hutu-Milizen, bedeutet in Wahrheit keine Einschränkung, da ruandische Hutu-Milizen in ganz Kongo aktiv sind – so wurde jüngst gemeldet, nach Kongo-Brazzaville geflohene ruandische Milizionäre kehrten in das ehemalige Zaire zurück, um das Regime von Präsident Laurent Kabila zu stärken. Gestern meldeten kongolesische Zeitungen das Entstehen einer neuen Rebellenfront im Norden des Kongo. Je besser der Kongo-Krieg für Ruanda läuft, desto weniger braucht sich die ruandische Regierung zu verstecken und desto mehr kann sie sich eine innenpolitische Liberalisierung leisten.