Mit Spitzkohl gegen Enteignungsgesetz

■ Baden-württembergische Bauern wehren sich gegen Bau einer neuen Messe, die die Landesregierung per Gesetz durchsetzen will

Stuttgart (taz) – Arbeitshosen, lehmige Gummistiefel, die Filzhüte fest auf die Stirn gedrückt. Die Bauern von den Fildern sind in die Innenstadt von Stuttgart gezogen und laden Erde ab. Zwei mal drei Meter fruchtbarer Boden, obendrauf kommen die Produkte der Filderebene südlich von Stuttgart: Spitzkohl, riesige, zipfelmützige Prachtexemplare. Landwirt Konrad Elaus aus Plieningen ist Experte. Er findet, daß die Feldfrüchte etwas zu eng aneinander gesetzt sind. Sein Kollege Helmut Schumacher verteilt Flugblätter gegen „Zwangsplanung und Enteignung“.

Die Landesregierung hat einen Gesetzentwurf vorgelegt. Danach soll den Menschen, die auf den Fildern südlich Stuttgarts leben, für den Bau einer neuen Messe vor den Toren der Stadt das Land abgenommen werden können. Das, sagen die Bauern, sei eine „Granatensauerei“.

Zur ersten Lesung des Entwurfs im baden-württembergischen Landtag sind sie mit 65 Traktoren angerollt. Auf Schumanns Hänger stehen die Kisten mit den Produkten der Region: Kohl, Salat und Broccoli. Die Trecker reihen sich hinter Schumachers Wagen am Rande des Schloßplatzes. In die Bannmeile, die sich rund um den Landtag erstreckt, dürfen sie nicht hinein.

Drinnen wird am Nachmittag die Verabschiedung des „Messegesetzes“ vorbereitet. Das sei, sagen seine Gegner, in Wirklichkeit ein Enteignungsgesetz und bisher einmalig in der Bundesrepublik. „Teufelsgesetz“ und „Landraub“ nennen es die Bauern, die sich seit Jahren gegen den Bau der Messehallen auf den Fildern zwischen Autobahnen und Flughafen wehren. Wie die meisten der rund 100.000 Menschen, die dort wohnen, wollen sie die ihnen einst garantierten Felder und Naherholungsgebiete erhalten.

Im Frühsommer hatte Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) ihnen mit Enteignung gedroht, nachdem sich auch die zuständige Stadt Leinfelden-Echterdingen gegen diesen Eingriff in ihre Planungshoheit gewehrt hatte. Der Gemeinderat lehnte eine Entschädigung ab und verweigerte weitere Verhandlungen mit dem Land. Zum Herbst ist allerdings auch den Landesjuristen gedämmert, daß ein solches Gesetz den angekündigten Klagen der Betroffenen nicht standhalten könnte. Dann könnten sie nämlich eine ähnliche Schlappe erleiden wie seinerzeit die Planer der Daimler-Teststrecke Boxberg.

Denn enteignet werden kann in der Bundesrepublik bisher nur, wenn übergeordnetes, öffentliches Interesse besteht, nicht aber, wenn es um privatwirtschaftlichen Nutzen geht. Die von Teufel prognostizierten Arbeitsplätze im Messegewerbe, so die Gegner, reichten dafür nicht aus und seien ohnehin Fiktion. Außerdem dürfe sich das Gesetz nicht auf einen Standort festlegen, sondern müsse die Prüfung von Alternativen zulassen. Das Land hatte die Fildern wegen der Flughafennähe bisher als einzig möglichen Standort gesehen. Die Landesjuristen korrigierten diese Festlegung im neuen Entwurf. Das Messegesetz, sagte der CDU-Abgeordnete Heribert Rech, sei ohnehin vor allem dazu da, die aufschiebende Wirkung von Klagen gegen den Bau auszuhebeln, damit „nicht jeder, der sich zehn Quadratmeter Boden kauft, alles blockieren kann“. Der Bau der Messe hingegen sei so etwas wie „Daseinsfürsorge“. Wirtschaftsstaatssekretär Horst Mehrländer (FDP) nannte „die Beschränkung grenzenloser Klagemöglichkeiten gesetzlich“.

Auch die SPD befürwortete grundsätzlich die Messe, stimmte aber mit den Grünen und den „Republikanern“ gegen das Gesetz. Die Landesregierung habe sich vorab so sehr auf die Fildern festgelegt, daß das Projekt „auch im Jahr 2008“ noch nicht stehen werde.

Grünen-Fraktionsvorsitzender Fritz Kuhn setzte sich für kleinere Messeplätze mit der „virtuellen Qualität“ neuer Technologien und gegen „eine Enteignungsorgie“ ein: „Die Bauern sind Ihnen ja wurscht!“ Diese haben die Fildererde draußen vor dem Landtag wieder ordentlich abgeräumt. Nach der Kundgebung verteilt Helmut Schumann das Demonstrationsgemüse. Der Spitzkohl schmeckt mild, leicht süßlich und ergibt, wenn er eingelegt wird, ein sehr feines Sauerkraut.