Der Mythos Alter

■ US-Autorin räumt auf mit Vorurteilen

Betty Friedan ist 74 und beweist, daß frau in dem Alter weder doof noch schwach ist, denn sie hat zehn Jahre lang recherchiert, um dann auf fast neunhundert Seiten zu beschreiben, warum Alte weder doof noch schwach sind.

Mythos Alter ist der deutsche Titel ihres Schinkens, mit dem der Rowohlt-Verlag offenbar an Naomi Wolfs Mythos Schönheit anknüpfen wollte. Das bereits 1993 erschienene Original heißt jedoch „The Fountain of Age“, „der Altbrunnen“. Doch nicht nur diese Reminiszenz an den sozio-psychologischen Feminismus geht daneben. Wer nun auch meint, daß die große schrille alte Dame der US-amerikanischen Frauenbewegung, die 1963 mit dem Weiblichkeitswahn einen Grundstein der weiblichen Emanzipation legte, einen in seiner Wirkung vergleichbaren Rundumschlag gegen die Unterdrückung alter Frauen geleistet habe, tritt fehl.

Vielmehr listet Friedan unzählige Studien auf, zitiert ellenlange Expertenberichte, verweist auf hunderte von Tagungen, um im immergleichen Refrain darauf zurückzukommen, daß Alter mehr ist als die Abwesenheit von Jugend. In der Medienöffentlichkeit herrscht das Bild vor von einer steil wachsenden Zahl debiler, inkontinenter, sabbernder Greise, die alle immer länger leben und der öffentlichen Hand zur Last fallen wollen.

Tatsächlich sind die Alten die am schnellsten zunehmende Bevölkerungsgruppe in der westlichen Welt, aber, sagt Friedan, die wenigsten von ihnen leben in Heimen oder leiden unter der Alzheimerschen Krankheit. Das Stereotyp der schwachen Alten sei ein ebensolches Konstrukt wie das Stereotyp der schwachen Frauen.

Mit Sicherheit sind unsere Wert- und Leistungsmaxime am Jugendkult orientiert und Alte überhaupt besser als ihr Ruf. Eine politische Analyse solcher Unterdrückungsstrukturen war lange überfällig. Aber dazu hätte Betty Friedan nicht gleich die biologistische Evolutions-Kanonage auffahren und ihre Arbeit an der These aufhängen müssen, daß zur Definition des Menschseins, ja zum Wesen der Spezies, nicht nur die lange Phase bis zur Fortpflanzung, sondern auch die lange Phase nach der Fortpflanzung gehört.

Wer Betty Friedan in voller Pracht erleben möchte, hat dazu morgen um 11 Uhr im Amerika-Haus an der Rothenbaumchaussee Gelegenheit. Dort wird sie ihr Buch vorstellen.

Ulrike Winkelmann Betty Friedan, Mythos Alter, Rowohlt Verlag 1995, 896 Seiten