„Zurückhaltender Mensch“

■ Felix Magath gegen München 60 erstmals HSV-Cheftrainer Von C. Gerlach

Wie an einer Schnur gezogen saust der Ball in den Winkel. Es ist kein Glückstreffer, auch die nachfolgenden Versuche geraten kaum weniger präzis. Richard Golz kann sich strecken wie er will, der Torwart des Hamburger SV kriegt die wenigsten zu fassen. Golz flucht leise vor sich hin. „Noch fünf“, kennt Magath schließlich doch Erbarmen mit dem Frustrierten, „dann ist Feierabend.“

Normalerweise ist die Arbeit mit den Torleuten das klassische Betätigungsfeld des Assistenz-Trainers. Doch was ist dieser Tage schon normal beim hanseatischen Traditionsclub, wenn selbst eine „Lichtgestalt“ (Bild) wie Uwe Seeler reichlich Schatten wirft. Magath jedoch stört sich nicht daran, daß er alles alleine hinkriegen soll. „Mir macht die Arbeit Spaß“, sagt der 42jährige, der seit einer Woche Cheftrainer ist, „ich fühle mich wohl.“ Der 43fache Nationalspieler mag nicht darüber spekulieren, warum ihm der neue Präsident – „Felix ist nur eine Übergangslösung“ – noch keinen Assistenten zur Seite gestellt hat. Mißtrauen? Eher nicht: „Ich will nur niemanden haben, weil ich selber nicht weiß, wie lange das hier geht: vier oder acht Wochen, vielleicht ein Jahr“. Einzig Erfolg werde ihm helfen. Doch wenn der eintritt, glaubt Magath, „bekomme ich die Chance, auch länger hier zu bleiben“.

Vor neun Jahren hatte der ehemalige HSV-Profi vor einer ähnlichen Situation gestanden. Damals 1986, noch unter Trainer Ernst Happel, war der zweifache WM-Teilnehmer Manager beim HSV geworden und mit großen Hoffnungen gestartet. Es ließ sich auch gut an: 1987 wurde der HSV Vizemeister und holte den DFB-Pokal. Doch die Lorbeeren heimsten andere ein, für Magath blieb nur Spott, weil es nach dem Endspielsieg für die Spieler keinen Sekt in der Kabine gab. An so etwas erinnern sich die Leute, wenn von seiner Zeit als Manager die Rede ist. Oder an den von ihm verpflichteten Happel-Nachfolger Josip Skoblar, der schon nach vier Monaten wieder gehen mußte. Daß der Spielmacher, der unter Happel alle Freiheiten genießen durfte („Du kannst bei mir machen, was du willst“), gleich zu Beginn seiner Amtszeit Uwe Bein und Bruno Labbadia an den Rothenbaum locken konnte – geschenkt, ein blindes Huhn findet auch mal ein Korn. Zu wenig, um sich dauerhaft halten zu können: Den Machtkampf mit Skoblar-Ersatz Willi Reimann verlor Magath. Er mußte 1988 gehen. Doch auch als Manager in Uerdingen und Saarbrücken kam er nicht so zurecht, wie er sich das vorgestellt hatte. Magath nahm eine Auszeit und tauchte als Trainer beim viertklassigen FC Bremerhaven wieder auf: „Ich hatte die Nase vom Profisport voll.“

Der Makel, konfliktscheu zu sein, haftet ihm bis heute an. Der dreifache Familienvater gilt immer noch als „Weichei“, als einer, der sich nicht durchsetzen kann. „Du mußt Felix nur scharf angucken, schon geht er zwei Schritte zurück“, wird kolportiert. So einer will den Bundesliga-Vorletzten „vor dem Abstieg bewahren“? Magath kennt diese Anfeindungen. Sie wurden auch nicht weniger, als er 1993 wieder als Regionalliga- und Assistenztrainer zum HSV zurücckehrte. Hätte der Linksfüßer nicht 1983 im Europacup-Endspiel gegen Juventus Turin den einzigen Treffer erzielt, wäre er in der Hansestadt schon längst eine sportliche persona non grata.

Jetzt, im zweiten Anlauf, nach vielen „Umwegen“, soll alles besser werden. Er sei nicht mehr so „naiv“, sondern habe gelernt „daß gute Ideen alleine nicht reichen, man muß sie auch verkaufen können“. Er will den kritischen Kunden zeigen, daß er nicht das Klischee des brillentragenden Schachspielers ist („ein begeisterter, aber schlechter“), der wegen seines Intellekts nie kämpfen mußte und es auch nicht gelernt hat. Darum hat er die Trainingsschraube angezogen. Statt um zehn, wie unter Möhlmann, läßt er die Kicker eine Stunde früher antraben. Vor dem morgigen Spiel wurde der freie Tag gestrichen, am vergangenen spielfreien Sonnabend zusätzlich Kondition gebolzt. „Normal“ sei das, „ich verlange von den Spielern nur das, was ich selber gemacht habe“. An manchen Tagen steht der „zurückhaltende Mensch“ – so seine eigene Einschätzung – fünf Stunden am Stück auf dem Trainingsplatz.

Die Bild-„Zeitung“ hat das schon honoriert und Magath schnell zum „Schleifer“ befördert, womit er „nichts am Hut haben will“. Es ist ihm jedoch nicht unlieb, das Loser-Image los zu sein – zumindest bis zum Löwen-Spiel. Was sein wird, wenn kein Sieg herausspringt? „Wir bewegen uns auf einem hochsensiblen Parkett“, weicht der passionierte Extremsportler aus. Als Manager sei er „über die Realität gestolpert“, über Leute, die wissen „wie man Macht ausnützt“. Die gibt es in seinem Umfeld auch noch heute – oben fummeln, unten treten. Als „Idealist“ hat man es da schwer, Schauspieler wäre besser. „Doch ich mache nichts für die Galerie, das war in meiner Karriere nie anders.“