Die Young Royals der Sozialdemonarchie

Einen richtigen Wechsel konnte es mit Rot-Grün in Hamburg gar nicht geben. Dafür ist die SPD schon zu lange an der Macht und die GAL nur als Juniorpartner eingestiegen – mit erstaunlichen Anpassungsleistungen. Die Sozialdemokratisierung im Stil: Eine Analyse  ■ Von Silke Mertins

Beim ersten Mal mußten noch alle lachen, auch die frisch gewählten grünen SenatorInnen selbst: Die Parlamentarier begehrten in der Fragestunde der Bürgerschaft etwas zu wissen, was sie nach Ansicht des Senats nichts anging. Also antwortete GAL-Umweltsenator Alexander Porschke so, wie die SPD-Kollegen es stets – und zu Oppositionszeiten zum Ärger der Grünen – zu tun pflegen: „Damit hat sich der Senat noch nicht befaßt.“ Inzwischen findet es keiner mehr lustig, wie umfassend die seit einem Jahr mitregierenden grünen SenatorInnen den Verhaltenskodex der Hamburger Sozialdemonarchie verinnerlicht haben.

„Unsere Senatoren gehen in ihren Terminen auf“, jammern grüne Parteimitglieder hinter vorgehaltener Hand. Fast könnte man die Vermutung hegen, die Sozis stellten die grünen Neulinge auf diese Weise ruhig. Doch tatsächlich sind es Wissenschaftssenatorin Krista Sager, Umweltsenator Porschke und Stadtentwicklungssenator Willfried Maier selbst, die sich an ihrem vollgestopften Terminkalender – das suggeriert Gewichtigkeit – erfreuen. Denn es gibt Orte und Gelegenheiten, da sind sie einfach unverzichtbar.

Zum Beispiel bei der Einweihung des umgestalteten Stübenplatzes in Wilhelmsburg (Willfried Maier). Zum 50jährigen Jubiläum des Landfrauenverbandes (Krista Sager). Oder am Höltigbaum, wo eine Herde Schafe auf ihre neue Wiese getrieben werden mußte (Alexander Porschke).

Angesichts der Fülle an Verpflichtungen ergibt sich eine weitere Veränderung zwangsläufig: die Haltung zur Dienstwagenfrage. War die kritische Einstellung zum staatlich geförderten Benz mit Chauffeur zu Oppositionszeiten noch Ehrensache, wissen die zu Amt und Würden gekommenen GAL-SenatorInnen nun das zur Verfügung gestellte Gefährt durchaus zu schätzen. Da aber der einfache Parteifreund gar nicht wissen kann, wie der aufreibende Alltag eines Regierenden aussieht, muß man das nicht dringend in epischer Breite ausführen. Sager zum Beispiel hat auch gar keine Zeit, um darüber zu reden (Termine). Maier nutzt lediglich die Fahrbereitschaft, die im selben Haus residiert. Und Porschke braucht den Dienst-Benz, weil man „häufig dadurch bei den vielen Terminen einen Zeitvorteil hat“.

Mit der Sozialdemokratisierung im Stil schwindet bei den grünen SenatorInnen die Nähe zur eigenen Partei. Sager vertrat schon nach 100 Tagen Rot-Grün die Auffassung, daß man beim Regieren vom grünen Wahlprogramm abstrahieren müsse. Das freilich gefällt der grünen Partei überhaupt nicht. GAL-Parteichefin Antje Radcke tüftelt derzeit Methoden aus, die die hohen Parteifunktionäre wieder an die Basis binden sollen – obwohl oder gerade weil so manches grüne Senatsmitglied nicht die geringste Lust dazu verspürt. Krista Sager klagte im Spiegel über die grüne Basis schon 1996, als sie noch Parteisprecherin war, daß es in manchem Kreisverband Mitglieder gebe, die sich „wie die Ritter der Kokosnuß aufspielen und das Schwert vor dem heiligen grünen Gral schwingen“.

Solche Sorgen plagen die Sozialdemokraten nicht. Diskussionen um Inhalte und Personen gehören schon seit Jahren nicht mehr zum guten Ton auf SPD-Parteitagen. Ob unter dem rechten Stadtregenten Henning Voscherau, der nach der Wahlschlappe von 1997 abtreten mußte, oder seinem linken Nachfolger Ortwin Runde: Die Delegierten nicken alles ab. Die Aussprache auf den Parteitagen dauert, wenn es verwegen zugeht, eine halbe Stunde. Nach den Redebeiträgen der Funktionäre folgen in der Regel nur ein paar Quertreiber, die kaum beachtet werden. Die SPD-Streitkultur tendiert gegen Null.

Dabei gibt es durchaus Unzufriedenheit. Daß Runde sich nicht zu einem großen Wurf durchringen konnte und zum größten Teil altbekannte Gesichter in den Senat berief, löste heftiges Gemurre aus. Mehr allerdings auch nicht.

Selbst der eine Fall, der in jüngster Zeit nach einer SPD-internen Fehde aussah – der Konflikt um die Volksgesetzgebung – entpuppte sich bei genauerer Betrachtung als geschickte Inszenierung. Die Roten wollten die Grünen unter Druck setzen: Seht her, wenn wir nicht handeln und einen eigenen Regierungsentwurf zur direkten Demokratie vorlegen, gehen uns die Pferde durch.

Der rot-grüne Senat hinterließ bisher zwei Eindrücke: langweilig und uninspiriert. Von dem angekündigten Aufbruch war wenig zu spüren. Zwar gab es auch Highlights. Die „Hamburger Ehe“ für gleichgeschlechtliche Paare ist so eines. Und es gab auch Streit in der Koalition – bei der Volksgesetzgebung und wegen der DASA-Erweiterung. Aber bisher ging es nie um einen Wettstreit der Ideen. Es fehlt der Koalition an Ausstrahlung, an Überzeugungskraft und an Glanz.

Sicher waren die Erwartungen an Rot-Grün höher als etwa an ein sozialliberales Regierungsbündnis oder an eine große Koalition. Aber ist das ungerecht? Vor allem die GAL hat im Wahlkampf damit geworben, daß der „Mehltau“ (Sager), der sich unter Voscherau über die Stadt gelegt habe, von Dynamik und Innovation abgelöst werden müsse.

Nun haben wir nicht einmal einen spürbaren Wechsel im Politikstil. In der realexistierenden Regierung mühten sich die grünen Spitzenleute vor allem damit ab, den notorischen Rot-Grün-Skeptikern wie der Handelskammer die Angst zu nehmen – was auch gelang. Zwar wird keiner erwarten, daß die grünen Senatoren in Strickwesten und Turnschuhen auf der Senatsbank sitzen, die Füße hochlegen und unparlamentarische Worte benutzen, um zu zeigen, daß sich etwas geändert hat. Doch die zuweilen bereits arg bürokratisierte Politniksprache, die etwa Maier und Sager in den Mund nehmen, stößt ein ums andere Mal an die Grenzen des Erträglichen.

Statt neue Ideen zu entwickeln, verlieren die Grünen sich zu oft im Klein-Klein: den Fahrradwegen, dem umgestalteten Park, dem Stadtteilprojekt XY. Darüber hinaus versuchen sie günstigstenfalls, die größten Fehltritte der SPD zu verhindern: nicht allzu viele Lehrerstellen zu streichen, nicht eine zu große Fläche dem neuen Airbus zu opfern oder nicht allzu drastisch Alleinerziehenden die Sozialhilfe zu kürzen.

Die Genossen können unterdessen die großen Infrastrukturprojekte auf ihrer Liste der Erfolge verbuchen: vom Elbtunnel bis zur Hafen-City. Allerdings hat auch die SPD massive Probleme. Seit Jahren schrumpfen die Wahlergebnisse. Im Bewußtsein der Sozialdemonarchie ist das aber noch nicht angekommen: Man fühlt sich so groß und mächtig wie eh und je. Fehler werden eigentlich nicht gemacht; gelegentlich gibt es höchstens ein Vermittlungsproblem. „Wir haben uns das nicht so schwer vorgestellt“, stöhnt GAL-Parteichefin Antje Radcke, wenn sie auf den koalitionären Umgang angesprochen wird. Anders als in Bonn, wo beide Parteien als Neulinge antreten, stößt die GAL in der Hansestadt auf einen etablierten, unbeweglichen SPD-Machtapparat. Die Hamburger SPD kennt nur eine Rolle: die der Regierenden.

Dieser Umstand macht aber auch der SPD selbst zu schaffen. Die Genossen kämpfen nicht nur gegen den Abwärtstrend bei den Wahlen, sondern auch gegen einen dramatischen Imageverfall an. Im Filz-Untersuchungsausschuß der Hamburger Bürgerschaft steht letztlich die ganze Hamburger SPD am Pranger. Gelingt es nicht, die öffentliche Aufmerksamkeit auf ein paar Sündenböcke zu lenken, drohen verheerende Folgen. Zum ersten Mal könnten die WählerInnen zu der Auffassung kommen, daß den Genossen eine Erholung von der Macht auf den Oppositionsbänken überaus zuträglich wäre.

Beide Hamburger Regierungsparteien sind seit der Bundestagswahl vom 27. September mit einer unangenehmen Begleiterscheinung des Machtwechsels in Bonn konfrontiert: Der gemeinsame Feind ist weg. Die arg strapazierte Formel „Bonn ist schuld“ zieht nicht mehr. Dieser Umstand zwingt GAL und SPD zur Profilierung gegenüber dem Koalitionspartner.

Vor allem die um Seriosität und Regierungsdisziplin bemühten Grünen werden deutlich machen müssen, wieso man sie nicht als Wurmfortsatz der SPD betrachten kann.