Die Kunst der Übertreibung

■ Das Packhaus-Team zeigt „Frank & Stein“, eine „Gruselkomödie“ von Ken Campbell

Man kann sie nicht mehr sehen: Die Liebenden, Hassenden und Tobenden der Boulevardkomödien. Für all diese Typen-Übersättigten hat Ken Campbell einen nicht ungeschickten Trick parat. Er zeigt uns keine Liebenden, Hassenden und Tobenden, sondern er zeigt, wie sich zwei liebenswerte Dönsköppe Liebende, Hassende und Tobende vorstellen. Weil diese Dönsköppe Frank und Stein heißen, handelt es sich bei ihnen naturgemäß um Filmvorführer, die gerade James Whales Frankensteinfilm mit Boris Karloff vorführen wollen. Vielleicht haben sie die Originalkopie des Jahres 1931. Jedenfalls reißt das brüchige Zelluloid; und so spielen Frank und Stein die herzzerreißende Saga vom unglücklichen Monster mit dem Schwerverbrechergehirn kurzerhand leibhaftig ihrem Kinopublikum – das sind notgedrungenerweise wir – vor.

Der Brite Campbell sei zwar noch nicht rasend berühmt, meint die Packhauschefin, aber seine Rocky-Horror-Picture-Show-Fortsetzung entwickle sich auf deutschen Bühnen allmählich zum Kultereignis. Wirklich? Besonderen Sprachwitz weist die Horrorpersiflage nicht auf. Und so geht die gelungene Premiere hauptsächlich auf die Konten der Klasseschauspieler Stefan Schneider und Bernhard Wessels.

Der Gag dieses Schauspiels ist sein kalkuliertes Scheitern. Statt Illusionen zu erzeugen, werden sie systematisch genichtet. Jede Spielszene kündigen Frank und Stein vorher genau an. Gezwungen zu immer schnelleren Rollenwechseln, erklären sie uns dann auch noch, wen sie jetzt gerade spielen: Frankensteinverlobte Elisabeth, Professor, Vater, Gehilfe, Polizist, kleines Mädchen und sogar das Volk stehen zur Auswahl. Da ist Flexibilität gefragt. Immer dann, wenn das Monster seinem Opfer allzu enthusiastisch die Gurgel abdreht, röchelt das aus dem letzten Loch „Cuuuut“, Filmschnitt – der running gag des Stücks. Und selbst filmische Großaufnahmen werden Bild für Bild nachgestellt.

Weil die beiden Dönsköppe ihre ganze Mitmenschheit für ihresgleichen hält, müssen sie natürlich zur Verständnishilfe heftigst übertreiben. Es ist ein einziges Gehumple, Gezucke, Gejammere, Gestöhne und Grimmassieren. Und seltsam: Den Zuschauer nervt's nicht mal. Doch Schneider und Wessel sind am Ende restlos fertiggeschwitzt.

Mundwinkel wandern kreuz und quer übers ganze Gesicht. Große Glubschaugen starren in die böse Welt. Hälser recken sich snobbig oder schrumpfen altersgebeugt zusammen. Nicht mal Stan Laurel könnte herzerbarmender greinen als diese Elisabeth. Und selbst der Glöckner von Notre Dame müßte von diesem Frankensteingehilfen noch einiges lernen. Beim Monster schlägt die Übertreibung ins Gegenteil um: Natürlich wirkt der arme Gehbehinderter nicht gruselig sondern mitleiderweckend. Weil also diese Typenkarrikaturen weniger dämlich wirken, als vielmehr außerordentlich liebenswert, funktioniert das Konzept.

Nur spärlichste Requisiten stehen für den geballten Verwandlungszauber zur Verfügung: Für die Geschlechtsumwandlung Elisabeth-Professor, mutiert einfach eine Halsschleife zur weiblichen Kopfeszierde. Den Rest leistet die Gesichtsmuskulatur: eine Virtuosität der Albernheit. bk

Bis 28.11. 20h, täglich außer Montag