Cool: PDS-Stiftung entdeckt Nation

■ Im Umfeld der PDS mehren sich nationalistische Tendenzen. Ein Referent glaubt, Türken könnten nicht zu Deutschen werden - und das Publikum applaudiert: In der DDR war alles besser

„Gibt es überhaupt noch ein deutsches Volk?“ Diese Frage stellte diese Woche eine Veranstaltung des Vereins „Gesellschaftsanalyse und Politische Bildung“, der künftigen Stiftung der PDS. Während die Partei selbst gern mit antifaschistischem Gestus wirbt, mehren sich in ihrem Umfeld offenbar Tendenzen, die sich den Begriffen „Volk“ und „Nation“ positiv annähern.

Eine „extreme Konstruktion“ sei der aus der französischen Revolution stammende Begriff der Staatsnation, sagte Referent Ronald Lötzsch, einst Sprachwissenschaftler an der Akademie der Wissenschaften der DDR. Nation könne gleichgesetzt werden mit dem Begriff „Volk“. Dieses sei manchmal durch eine gemeinsame Sprache, eine gemeinsame Kultur, vor allem aber „durch die Entwicklung eines Zusammengehörigkeitsgefühls“ definiert. Zum Beleg für die Wirkungsmächtigkeit des Nationalen muß selbst die Annexion Österreichs 1938 herhalten: „Die meisten haben gejubelt“, so Lötzsch, der in der DDR von 1957 bis 1960 wegen seiner Kritik an der Regierung Ulbricht in Bautzen inhaftiert war.

Vor allem die doppelte Staatsbürgerschaft erregte die Gemüter: Die Neuregelung sei im Prinzip zu begrüßen, meinte Lötzsch. Durch sie würden Türken aber nicht zu Deutschen. Daher schlug er für „nichtdeutsche Staatsbürger“ die Bezeichnung „Deutschländer“ vor, um eine „Verquickung von Staatsbürgerschaft und Nationalität“ zu vermeiden.

Bei den rund dreißig Zuhörern brachen in der anschließenden Diskussion im alten Gebäude des Neuen Deutschlands in Friedrichshain die Dämme. „Im Jahr 2140 gibt es in diesem Land mehr Türken als Deutsche“, beklagte ein Diskutant, seine Nachbarin schilderte ebenfalls ihre Nöte: „Abends in der U-Bahn höre ich fast nur fremde Sprachen.“ In der DDR sei das besser geregelt gewesen. „Die hatten ihren Neubau mit Zentralheizung, aber es war klar: Nach vier Jahren ab nach Hause.“ Ein Redner aus Neukölln sagte, der jetzige Zustand sei „nicht ohne Gegenwehr hinnehmbar“.

Da fühlte sich Lötzsch, der zuvor noch über den „heute leider unpopulären Begriff der Rassenmerkmale“ gesprochen hat, zum Eingreifen genötigt. Der 66jährige plädierte für mehr Toleranz im Alltag. „Das funktioniert nicht immer“, schallte es aus dem Publikum zurück, das den Veranstaltungsraum bis zum bitteren Ende in einen Hexenkessel der Ressentiments verwandelte.

Distanzieren will sich der Verein „Gesellschaftsanalyse“ von Lötzschs Auftritt aber nicht. Zwar wolle man „keinesfalls alte Kamellen aufwärmen“, sagt Mitarbeiter Dieter Schlönvogt. Perspektivisch müsse sich auch die Linke der Diskussion des nicht ganz unwichtigen Begriffes der Nation annehmen. Nun werde man darüber reden müssen, wie dies ohne Mißverständnisse möglich sei.

Der Verein „Gesellschaftsanalyse und Politische Bildung“ ist der PDS „geistig-politisch“ verbunden, organisatorisch aber „unabhängig“. Im Programm finden sich die Berliner Landesvorsitzende Petra Pau, Wahlkampfleiter André Brie und die neue Bundestagsvizepräsidentin Petra Bläss als Referenten. Nachdem die PDS Fraktionsstärke erreicht hat, solle der Verein in eine Parteistiftung überführt werden, bestätigte eine Sprecherin der Parteizentrale.

Schon im August dieses Jahres durfte Roland Wehl, Autor der neurechten Zeitung Junge Freiheit, im PDS-nahen Neuen Deutschland schreiben – über das Thema: „Wie national muß die Linke sein?“ Andreas Spannbauer