Kommentar
: Polizei und Hauptstadt

■ Berliner Republik macht die Metropole liberaler

So hatte sich manch einer aus der konservativen Riege Berliner Politiker die aufgehende Berliner Republik nicht vorgestellt. Eine rot- grüne Regierung zieht im Zentrum der Hauptstadt zwischen Siegessäule und Alexanderplatz ein, im Reichstag präsidiert ein Sozialdemokrat, und auch im Schloß Bellevue soll ab Mai kommenden Jahres ein Genosse herrschen. Das Staatsbürgerschaftsrecht wird zumindest auf einen liberaleren Pfad geschickt und macht jene Zehntausende von BerlinerInnen endlich zu Deutschen, die von den Lokalpolitikern zuletzt nur noch als innenpolitisches Problem behandelt wurden. Und jetzt auch noch das: Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Norbert Spinrath, drängt auf die Rückkehr der hauptstädtischen Polizei zur hier ungeliebten Deeskalationsstrategie: Berliner Republik, wir hör'n dir trapsen.

Der antifaschistische Schutzwall, in dessen Schatten konservative Berliner Innensenatoren schalten und walten konnten, wie sie wollten, ist endgültig gefallen. Der Blick der neuen Bundesregierung richtet sich auf Berlin – und mit ihm das Interesse gesellschaftlicher Gruppen. Die Forderungen des GdP-Vorsitzenden Spinrath sind Teil dieser Entwicklung. Sie haben es gewollt, die Berliner Politiker und Politikerinnen: Berlin als Metropole, als Hauptstadt, als wichtigste Stadt in der Bundesrepublik. Nun nimmt diese Metropole Formen an, das wird die Stadt verändern.

Bis dato hat im Rest der Republik kein Hahn danach gekräht, wie die Polizei in Berlin agierte. Ob hier geknüppelt und gekesselt wurde, ob der politischen Führung überhaupt an einer zivilen Lösung der Auseinandersetzungen gelegen war. Es sei denn bei Staatsbesuchen, wenn ein Bundespräsident mit Farbeiern beworfen wurde wie einst Richard von Weizsäcker – oder wenn die Berliner Beamten bei Einsätzen in anderen Bundesländern ihr eskalierendes Können zeigen durften wie im März diesen Jahres in Ahaus.

Auch warnende Stimmen von Polizeiexperten, die Deeskalationsstrategie folge aus der Verfassung und stehe nicht im Gutdünken eines Innensenators, wurden frohgemut in den Wind geschlagen. Berlin habe sich von der Deeskalationsstrategie verabschiedet, bekundeten erst im Frühjahr dieses Jahres Innensenator und Führungskräfte der Polizei. Aber mit der Gemütlichkeit der mental mauergeschützten Prügelorgien ist es jetzt vorbei. Darin liegt eine echte Chance für Berlin. Barbara Junge