Bluebox im Wohnzimmer

In der Brandenburger Provinz senden Antennenhändler und Hochzeitsfotografen ihre eigenen Lokalfernsehprogramme. Kaum irgendwo gibt es eine Medienvielfalt wie hier  ■ Von Helmut Höge

„Dies ist wahrscheinlich der kleinste Sender der Welt“, vermutet der Fotograf, als wir in Spremberg eine alte Hofremise betreten. Hier hat sich „Kanal 12“ eingemietet, der örtliche Lokalsender. Das Studio ist im Flur zum Büro untergebracht, und mehr Räume gibt es nicht. Aber es erweist sich als kompletter Fernsehsender.

Kaum irgendwo in Deutschland gibt es so viele Fernsehsender wie in Brandenburg: 28 Minisender haben hier eine Lizenz zum Senden – mal für ein Plattenbauviertel, mal für eine Kleinstadt oder eine Reihe von Dörfern. Mal erreichen sie nur 180 potentielle Zuschauerhaushalte, mal über 50.000. Die Region Südbrandenburg gehört – mit 14 Kanälen – statistisch zu den am besten „versorgten“ Gebieten Europas. Obwohl die Sender höchstens eine Stunde täglich „Bewegtbilder“ produzieren (sonst gibt es meistens Texttafeln mit lokalen Informationen), werden die Programme sehr gut angenommen: „Wir haben eine Zuschauerquote von über 90 Prozent!“ behauptet „Kanal12“-Gründer Michael Walter. Und der Geschäftsführer von „RTS Senftenberg“, Andreas Groebe, meint: „Die zu einem Westkonzern gehörende Lausitzer Rundschau, hatte Abo-Einbrüche ohne Ende durch uns.“

Weil sie Leser- und mehr noch Werbeverluste fürchteten, hatten die Zeitungsverleger im Westen in der Anfangszeit des Kabelfernsehens das Entstehen lokaler Kleinsender verhindert. Im Osten aber waren vor oder während der Wendezeit riesige Kabelanlagen entstanden, die oft ein größeres Plattenbauviertel versorgen, manchmal sogar ganze Ortschaften, und nicht dem Monopolisten Telekom gehören, sondern privaten oder städtischen Betreibern. Über sie begannen oft kurz nach der Wende einzelne TV-Begeisterte zu senden, ohne sich groß um komplizierte Mediengesetze zu kümmern. Seit 1993 wurden die Sender dann von der Medienanstalt Berlin-Brandenburg lizensiert.

So wie viele der Kleinsender begann auch das Cottbusser Lausitz-TV (LTV), das heute in einer schick renovierten Stadtvilla residiert und einen „Assistenten der Geschäftsführung“ hat. Reinhard Vogt, ein ehemaliger Seemann, führt mich durch die Etage.

Man imitiert CNN oder MTV – ohne Budget

Die Moderatorin, im Hauptberuf Kindergärtnerin, schminkt sich gerade im Tonraum. Später ist sie auch noch als „Model“ in einem Werbeclip für einen örtlichen Mittelständler zu sehen.

Wenn in Senftenberg der Abteilungsleiter eines Musikladens zusammen mit Sendergeschäftsführer Andreas Groebe die lokalen „CD-Charts“ moderiert, sitzen sie lässig auf einem Barhocker auf einen hohen Tisch gestützt und lächelt breit in die Kamera. Wie überall imitiert man auch hier die globale TV-Ästhetik von CNN etwa oder MTV – nur eben mit minimalistischen Mitteln. Auch was das Equipment betrifft, sieht es eher spartanisch aus: Große Dekorationen gibt es nicht, nur ein blaues Tuch vor der Wand, daß man für die Einspiegelung von Hintergründen braucht: Die Blue Box im Wohnzimmer. „Man muß technisch enthaltsam sein, damit einem nicht die Puste ausgeht“, erklärt Andreas Groebe.

Dennoch braucht es mindestens 200.000 Mark Anfangskapital, um einen Sender aufzumachen. Gesellschafter sind meist die Kabelnetzbetreiber. In Spremberg gehört dem Senderbesitzer das örtliche Fernsehgeschäft. Was ihn nicht daran hindert, gelegentlich auch noch zu moderieren. Sein Sender hat nur drei Mitarbeiter, er erreicht 30.000 Haushalte. Der Mangel, auch an ordentlicher Entlohnung, wird durch Enthusiasmus ausgeglichen. Die lokalen Fernsehsender sind zur Basisdemokratie verdammt. Andreas Groebe, dessen Sender in einem schmucklosen Plattenbau am Stadtrand eingemietet ist, sagt es so: „Mit zu viel Gemeinden drumherum verzettelt man sich nur und vernachlässigt einzelne; schon jetzt gibt es das Problem Weltzow – 25 Kilometer entfernt und schlecht zu versorgen.“

Ausgerechnet im Braunkohlerevier Südbrandenburgs kommt man der alten Vision aus der Anfangszeit der Verkabelung nahe, derzufolge Sender und Empfänger die Rollen tauschen würden. So arbeiten die Spremberger zum Beispiel schon mit den fünf Macintosh-Computer-Besitzern der Stadt eng zusammen, einer komponiert nebenbei noch die Musik für das TV-„Magazin“, und die drei Spremberger Videokamera- Eigner kenne man sowieso. Das Arbeitsamt annonciert seine Stellen im lokalen Videotext und die Wohnungsbaugesellschaft ihre Wohnungen. Seitdem die Stadtverordneten-Versammlungen live übertragen werden, „hat auch das Interesse an Politik in der Stadt stark zugenommen“, sagt Michael Walter.

„Man muß sich die Mitarbeit der Bevölkerung erarbeiten – über Akzeptanz“, so Andreas Groebe. Das gilt erst recht für den in Südbrandenburg noch wenig entwickelten Mittelstand – die Werbekunden: das Autohaus, das Blumengeschäft, die Disco, Tischlereien, Tattoo-Studios und Bäcker. In Spremberg kostet die Bewegtbild-Werbung pro Sendesekunde 5 Mark. Es gibt zwar noch einige Großbetriebe in der Region, aber diese bevorzugen ebenso wie die (West-)Supermärkte „professionell“ gemachte Programme. Die Zuschauer empfinden jedoch gerade das Unprofessionelle oft als „charmant“ – beispielsweise den Film „Null Problemo“, den ein Spremberger Jugendclub für Behinderte über sich selbst gedreht hat. Der wird inzwischen auch als Kassette verkauft.

Die Arbeitslosigkeit in der Region führt dazu, daß der „Werbekuchen“ eher mager ausfällt – zumal die Sender keine Daten über Zuschauerzahlen vorweisen können. Die Sender setzen ihre Hoffnung nun auf Dauerwerbung bei der die Produkte telefonisch bestellt werden können. Erst wenn die Anzahl der Anrufer ausreichend, ist gibt es Geld, und dann „bekommen wir Markenartikel- Werbung“, glaubt Michael Walter. Damit auch die regionalen Werbekunden gesicherte Zuschauerzahlen in die Hand bekommen, erwägt die Medienanstalt eine „Mediadaten-Analyse“ durchführen. Am Dienstag sind auch viele der Brandenburger Kleinsender bei einem bundesweiten Treffen von Ballungsraumsendern in Berlin dabei, bei dem über gemeinsame Werbevermarktung gesprochen werden soll.

In Spremberg hat eine Floristin ihren Laden widereröffnet, das Polaroid für den „Werbespot“ bringt sie persönlich beim Sender vorbei.

Böse Anrufe, wenn die Kreisliga zu spät kommt

Auch die Zuschauer sind derart „direktkontaktfreudig“: „Wenn wir uns sonntags mal mit dem Eingeben der Fußballergebnisse aus der Kreisliga verspäten, kriegen wir sofort erboste Anrufe!“ Alle Sender halten engen Kontakt zu den Sportvereinen. Die Senftenberger begleiteten einen Tauchkurs mit der Kamera im städtischen Badesee sogar unter Wasser. Außerdem gibt es dort eine regelmäßige Gymnastiksendung und das Brett-„Spiel des Monats“. Bei Spremberg-TV gibt es den „Blumenstrauß der Woche“: „Wenn Frau Müller z.B. der kranken Frau Meier immer beim Einkaufen hilft – dann wird über sie berichtet, bei ihr zu Hause.“ Und immer öfter bringen Hobbyfotografen alte und neue Stadtansichten vorbei: „Auch die senden wir!“ In Spremberg träumt man gar davon, überall Videokameras auf den Plätzen zu installieren, deren Bilder bei Bedarf zugeschaltet werden.

Aber man erschöpft sich nicht in solcher „Bürgernähe“: Ein Reporter von „LTV“, kommt eben mit einem Streikbericht zurück. Sein Beitrag befaßte sich mit dem Cottbusser Kfz-Reparaturbetrieb „Intrans“, wo der westdeutsche Besitzer aus der Tarifbindung rauswollte und Streikbrecher eingesetzt hatte – eine „heiße Geschichte, schon seit zwei Monaten!“. Der Cottbusser Sender ist mit 11 Mitarbeitern und zwei Lehrlingen der größte, er versorgt 58.050 Haushalte – mit „täglich aktuellen 30 Minuten“.

Gelegentlich übernehmen auch die Großen, ORB und RTL schon mal einen LTV-Beitrag: Von einer Gasexplosion oder von den in der Spree badenden Cottbusser Elefanten etwa. Zwar bieten auch immer mehr Bürger solches Videomaterial der LTV-Redaktion an, „aber es ist meistens noch nicht sendefähig“, sagt Reinhard Vogt „Katastrophen ausgenommen, die nehmen wir sofort!“