Indonesiens Reformweg führt über Leichen

■ Suhartos Erben debattieren demokratische Reformen. Vier Tote bei Unruhen in Jakarta

Bangkok (taz) – Indonesiens Armeechef Wiranto dementierte: Er habe keineswegs die Bevölkerung dazu aufgerufen, zu Hause zu bleiben, sagte er gestern. Der Bericht eines Radiosenders sei falsch. Die Lage in Jakarta sei „unter Kontrolle“. Dennoch blieben nach den heftigen Studentenprotesten der letzten Tage zahlreiche Geschäfte geschlossen. In der Umgebung des Parlaments, wo die Sondersitzung der „Beratenden Volksversammlung“ gestern zu Ende ging, waren die Straßen gesperrt. Angaben von Augenzeugen zufolge wurden bei den Demonstrationen vier Menschen getötet und über hundert verletzt.

Viele Bewohner der Stadt fürchteten sich vor einer Wiederholung der schwere Krawalle vom vergangenen Mai. Damals starben über 1.200 Menschen, ganze Straßenzüge brannten, bevor Präsident Suharto nach 32jähriger Herrschaft dann doch zurücktrat.

Fast sechs Monate später sollten die Abgeordneten der MPR politische Reformen einleiten. Parlamentswahlen sollen voraussichtlich im kommenden Juli stattfinden, zwei Monate später als bisher angekündigt. Diese Verzögerung sei nicht zu umgehen, weil das Parlament erst die neuen Parteiengesetze und Wahlverfahren verabschieden müßte, hieß es.

Studenten und Oppositionelle warfen den Abgeordneten der MPR vor, sie wollten in erster Linie ihre Privilegien retten. Denn die meisten von ihnen sind die Erben des Systems, das sie nun abschaffen sollen: Suharto und sein langjähriger enger Freund und Nachfolger Habibie haben die Hälfte von ihnen noch persönlich ernannt. 75 Sitze hält das Militär.

Aus Furcht, ihre Glaubwürdigkeit völlig zu verlieren, beugte sich die Golkar-Partei gestern dem Druck der Opposition und stimmte einer gründlichen Untersuchung des Suharto-Vermögens zu. Zuvor hatte sie sich geweigert, den Namen Suharto im Gesetzentwurf zu nennen.

Die Partei hat unter Suharto zuletzt über drei Viertel aller Stimmen erzielt. „Wir sollten Suharto opfern und nicht die Golkar“, sagte Parteimitglied und Präsidentenberaterin Dewi Anwar Fortuna.

Umstritten blieb die Rolle der Armee, die – zusammen mit der Polizei – eine Stärke von 500.000 Mann hat. Unter Suharto waren Offiziere in allen zivilen Bereichen des Landes vertreten, in der Verwaltung ebenso wie in der Wirtschaft. Die Opposition will das Militär in die Kasernen zurückschicken. Der Armeechef hat in den letzten Tagen einige Zugeständnisse gemacht und versprochen, den Einfluß der Militärs allmählich zu verringern. Doch im Parlament soll die Armee auch künftig sitzen – möglicherweise mit 55 statt bisher 75 Mandaten.

Mit einem populistischen Wirtschaftsprogramm hoffte die Golkar-Partei Punkte zu machen: Nach einem vage formulierten Entwurf sollen die staatlichen Kooperativen und die Klein- und Mittelbetriebe künftig zur „zentralen Säule der nationalen wirtschaftlichen Entwicklung“ gemacht werden. Sie sollen bevorzugt Kredite und Aufträge erhalten. Ohne es ausdrücklich zu erwähnen, richtet sich dies vor allem gegen die chinesische Minderheit und die großen Konglomerate, die unter Suharto die Wirtschaft dominierten. Vor allem muslimische Organisationen hatten in der Vergangenheit immer wieder eine besondere Förderung der „Urbevölkerung“ eingeklagt.

Am Rande des Treffens hatten sich die vier einflußreichsten OppositionspolitikerInnen Indonesiens zum ersten Mal zusammengefunden, um gemeinsam ihre Forderungen an die MPR zu stellen: Megawati Sukarnoputri, Tochter des Staatsgründers Sukarno, die beiden Muslimführer Amien Rais und Abdurrahman Wahid und der populäre Sultan von Yogyakarta. Alle vier gelten als aussichtsreiche Kandidaten bei künftigen Präsidentschaftswahlen. Sultan Hamengkubuwono IX. ist als einziger der vier in der MPR vertreten. Amien Rais hatte die Demonstranten davor gewarnt, die Versammlung zu unterbrechen. Dies könne dazu führen, daß die Armee die Macht übernehme, sagte er. Jutta Lietsch