„Im Stadion fühle ich mich sicher“

Trotz eines möglichen Angriffs der USA geht in Bagdad der Alltag seinen normalen Gang. Die Medien bereiten die Bevölkerung psychologisch auf den Krieg vor  ■ Aus Bagdad Karim El-Gawhary

Während in Bagdad niemand mehr an einen diplomatischen Ausweg aus der jüngsten Irak- krise glaubt, bereiten die irakischen Medien die Bevölkerung psychologisch auf den Krieg vor. Die USA verhindere eine diplomatische Lösung. All die Aktivitäten der letzten Tage zeigten die US-Hysterie, die einer weiteren Aggression gegen das irakische Volk führen werde, heißt es etwa in der gestrigen Ausgabe der Zeitung Al-Iraq. Auch in den staatlich kontrollierten Moscheen wird mobil gemacht. „Die amerikanischen Hundesöhne haben unser Land ausgehungert. Wir müssen jetzt unsere Führung und unser Militär unterstützen, um die US-Pläne zu durchkreuzen“, predigt etwa der Imam der Saad-Ibn-Abu-Waqas- Moschee im Zentrum der Stadt in höchst unheiliger Wortwahl.

Ihren freien Tag am geheiligten Freitag wollen sich die Menschen in Bagdad dennoch nicht nehmen lassen. Zeichen einer militärischen Mobilmachung sind in der Hauptstadt wenig zu spüren. Die meisten Menschen gehen am Morgen ihrer Lieblingsbeschäftigung nach und wandern über die zahlreichen Märkte, auf der Suche nach dem einen oder anderen Schnäppchen. Selbst Armeeoffiziere finden sich unter den Markbesuchern. Im Suq Ghazal, einem Markt für Haustiere, läßt sich in dem Gewühl kaum ein Fuß vor den anderen setzen. In kunstvoll selbstgebastelten Käfigen wird allerlei Getier angeboten. Die Kinder necken die angebundenen Hunde, bis diese die zurückweichende Menge anbellen.

In einem Holzkäfig wartet ein kleiner Vogel auf seinen Einsatz, um eine der mit Futter gefüllten Horoskopzettelchen zu picken. „Wann bist du geboren“, fragt der alte Schausteller und schickt seinen gefiederten Akrobaten los. „Deine Sterne stehen gut, gehe unbesorgt deinen gewohnten Gang“, liest er vor und fügt unter dem Gelächter der Umstehenden hinzu, daß das natürlich auch gelte, wenn die Amerikaner am nächten Tag bombardieren würden.

Der Schlangenverkäufer steht hier wie an jedem Tag, eine Schlange um den Hals gehängt, während sich die andere in seiner Hand windet. Auch für den danebenstehenden Verkäufer eines traurig dreinblickenden Falkens ist es ein ganz normaler Tag. Oft habe er ähnliche Situationen erlebt. „Warum sollte ich mich jetzt aufregen? Mein Leben geht seinen gewohnten Gang.“

Das Liebespaar auf einer Bank am Ufer des Tigirs unweit der Sarafiya Brücke, hat ebenfalls anderes als Krieg im Sinn. Die beiden debattieren über ihr neues Haus. „Für uns ist es nicht so wichtig, was da passiert. Wir versuchen wenigstens an unserem freien Tag das Ganze zu vergessen“, sagt der Bräutigam in spe.

Zertreuung suchen auch jene, die sich an diesem Freitag zu einem Fußballspiel zweier Bagdader Mannschaften im städtischen Stadion eingefunden haben. Auch hier herrscht Normalität, wie die Menschenschlangen an den Kassen beweisen. „Ich fühle mich vollkommen sicher heute im Stadion, da die Amerikaner bisher immer nur nachts angegriffen haben“, sagt ein Fußballfan.

In den Häusern spielen sich mitunter andere Szenen ab, die etwas weniger abgebrüht wirken. „Ein Militärschlag ist vielleicht gut, weil er womöglich unsere miserable Situation beendet, in der wir seit acht Jahren leben. Aber ich habe Angst um meine zwei Kinder“, erklärt eine Lehrerin sichtlich aufgewühlt. Die ganze Familie hat sich an diesem Tag noch einmal im Haus zusammengefunden. „Wir wohnen in verschiedenen Teilen der Stadt. Während einer Militäraktion können wir uns nicht mehr treffen“, sagt sie und macht eine kurze Pause. „Wer weiß, ob wir uns überhaupt alle wiedersehen.“

In der Runde ihrer sechs Geschwister herrscht für einige Minuten betretenes Schweigen. Dann wendet sich das Gespräch wieder der alltäglichen Organisation der Krise zu. „Hast du schon gehört, daß sich der Preis für Gas seit heute morgen verfünffacht hat? Wir müssen noch zwei Flaschen kaufen, dazu brauchen wir aber das Auto vom Nachbarn.“