Eher krümelig

Verrückte Kunst: Mit „Glauser“ stolpert Sandra Strunz auf Kampnagel durch einen psychologischen Algorithmus  ■ Von Barbora Paluskova

er mit diesem Mann tauschen wollte, müßte wohl genauso irre sein: Der Schweizer Friedrich Glauser (1896-1938) war Schriftsteller und Frauenheld, Baumliebhaber und Gefahrensucher, Morphiumjunkie und Psychiatriepatient. Er träumte davon, dem Paradies entkommen zu dürfen und war ein Experte auf dem Gebiet der Selbstmordversuche und der Egozentrik. Und wer der Nachwelt vermitteln wollte, was dieser Glauser noch alles war, hätte Stoff für einen dicken Roman oder ein langes Theaterstück.

Die zweite Möglichkeit wird derzeit von der Regisseurin Sandra Strunz und ihrer deutsch-schweizerischen Zwieback-Company auf Kampnagel genutzt. Der Krümelname verweist auf deren letzte biographische Theaterarbeit. Mit Meine erste Frau hieß Zwieback – Das Leben des Armand Schulthess konnte die Gruppe 1997 einen großen Erfolg für sich verbuchen. Die Kritiken, die Glauser nach der Uraufführung im März in Basel erhielt, sowie die Einladung zum Regiewettbewerb der Wiener Festwochen schraubten die Erwartungen zusätzlich in die Höhe.

Die sind aber leider nicht eingelöst worden. All die anfangs genannten Facetten von Glausers Persönlichkeit kommen zwar in Strunz' Inszenierung vor; doch das besondere biographische Komprimierungsverfahren, das die Regisseurin benutzt, um sie sichtbar zu machen, lassen diesmal aus den knapp zweieinhalb Stunden Echtzeit eine langwierige und ermüdende Abendfüllung werden.

Der Erzählstrang führt Glauser über verschiedene Stationen ins Irrenhaus. Die Bühne von Franziska Vollborn wird von einer Pyramide beherrscht und von 14 Notbetten bevölkert, die ständig umgestellt werden und so immer neue Räume eröffnen – das ist am Anfang zweifellos faszinierend. Auch daß der Mann meschugge war, glaubt man ohne weiteres. Zwei Männer (Nicolas Rosat und Imanuel Schipper) und drei Frauen (Irene Eichenberger, Dorothea Ratzel und Patricia Tiedtke) stellen abwechselnd Erzähler, Glauser selbst und Personen aus seinem Leben dar, und ein alter Mann (Wilfried A. Hauri) liest zwischendurch Zeitung – die anzunehmende Persönlichkeitsspaltung mit angrenzenden Wahnvorstellungen wird vom Ensemble überzeugend verkörpert.

Doch ob in Ascona, Lausanne oder Belgien, der Wahnsinnige wird überall in gleicher Weise aufgebröselt. Textfetzen, Gesten, Gruppierungen und Gesichtsausdrücke wiederholen sich in immer neuen Konstellationen. Gedoppelt, getrippelt oder in Schleifen wird Glauser verhaftet, will fliehen, verlangt nach Morphium oder plant den nächsten Suizid. Es gibt auch fesselnde Momente, doch die sind viel zu schnell vorbei. Dann stolpert der Algorithmus wieder weiter, bis es endlich heißt: „Entschuldigung, sind Sie Herr Glauser? Sie sind tot.“

Spannend? Nein, eher krümelig.

Noch Di, 17. bis Do, 19. November, 19.30 Uhr, Kampnagel Äk6Ü