Moderne Sterbekultur?

■ Noch tüftelt Bremen an einem Modell, um Schwerstkranke so zu betreuen, daß sich niemand für ihren Sterbensweg schämen muß / Neue Ansätze gibt es in Bremerhaven

Ohne Schmerzen sterben? Ein Menschheitstraum. Die Wirklichkeit sieht anders aus, auch wenn neue Gesetze die Vergabe von Betäubungsmitteln jetzt erleichtern. Doch nicht nur bei der Schmerzlinderung gibt es Lücken. Auch die Frage, wo Kranke menschenwürdig sterben können, ist noch lange nicht beantwortet. Familienangehörige von Sterbenskranken sind mit der Pflege oft überfordert. Immer wieder landen unheilbar Kranke deshalb in Krankenhäusern. „Wo sie Glück oder Pech haben können, je nachdem, an welche Krankenschwester sie geraten.“

So bilanzierte der ärztliche Direktor des Krankenhauses Links der Weser, Peter Stremmel, jetzt auf dem „Ersten Bremer Palliativ-Kongresses“ die gegenwärtige Lage in der Hansestadt. „Bisher haben alle Berufsgruppen versäumt, dieses Thema anzupacken“, sagte er auf einer Podiumsdiskussion über die Bremer „Perspektiven der Palliativmedizin“. Auch der Vertreter der Gesundheitsbehörde, Matthias Gruhl, wurde deutlich: „Von 4.000 Personen, die in Bremen jährlich sterben, stirbt ein Drittel in Krankenhäusern.“ Wie die übrigen siebzig Prozent sterben, „das will ich lieber gar nicht wissen“, zeigte er Untiefen auf. Deshalb unterstütze die Gesundheitssenatorin schon seit langem die ehrenamtliche Hospizbewegung. Deshalb habe man den bundesweiten Modellversuch einer Palliativstation ans Bremerhavener St. Joseph-Krankenhaus geholt – und nicht zuletzt deshalb sei die geplante Palliativstation im Krankenhaus Links der Weser im Landeskrankenhausplan berücksichtigt worden.

Doch eine Bremer Palliativstation alleine, in der acht Schwerstkranke Aufnahme, Schmerzlinderung und ganzheitliche Hinwendung erfahren sollen, kann nicht die einzige Lösung sein. Auch hierüber waren sich die Teilnehmer der Podiumsdiskussion, an der auch Vertreter der Ärztekammer, des Bremer Hospizvereins und der Krankenkassen beteiligt waren, einig. Vielmehr müsse eine übergreifende Zusammenarbeit aller organisiert werden: Kassen, Ärztekammer, Krankenhäuser – und nicht zuletzt Pflegedienste und ehrenamtliche MitarbeiterInnen des Hospizvereins, die in Bremen schon jetzt rund 12.650 Stunden pro Jahr aufbringen, um ältere Einzelgänger und Schwerstkranke sowie deren Familienangehörige zu betreuen, wie Mechthild Schöller-Stindt, klar stellte. „Wir sind die Schnittstelle zwischen ambulanter und pflegerischer Arbeit“, sagte die Vorsitzende des Hospizvereins. Im Interesse der Sterbenden müsse die Kooperation aller Einrichtungen deutlich verbessert werden. „Sterben ist ein Teil vom Leben“, mahnte sie. Diese Lebensphase dürfe nicht länger tabuisiert werden. Die rund 100 aktiven MitarbeiterInnen ihres Vereins setzten sich schon lange dafür ein, daß gesellschaftlich endlich umgedacht werde. „Aber das braucht Zeit.“

Auch die nächsten Schritte hin zu einer modernen Sterbekultur werden in Bremen bescheiden ausfallen. Zwar war sich das Podium schnell einig, daß endlich ein „Runder Tisch“ die Kooperation verbessern solle. Die Todkranken, so das Ziel, sollen bestmöglich schmerzfrei so versorgt werden, wie es ihren eigenen Wünschen entspricht. „Aber am runden Tisch, bei einer strengen Budgetierung, schafft man dafür nicht die Voraussetzungen“, dämpfte Ullrich Kütz von der Ärztekammer alle Zuversicht. „Es geht doch um bessere Betreuung, notwendige Hausbesuche und längere Verweildauer.“ Ohne die Zusage, dafür mehr Geld zu bekommen, plane man offenbar die „Quadratur des Kreises.“

Optimisten hielten ihm die Erfahrungen eines Modellversuchs im katalonischen Barcelona entgegen. Dort habe sich gezeigt, daß die Zahl von – verhältnismäßig teuren – Krankenhaus-Noteinweisungen Sterbenskranker sinkt, wenn die Zusammenarbeit zwischen Krankenhaus und anderen Pflegestellen gut funktioniert. Überhaupt sterben in Barcelona seither viel weniger Menschen im Krankenhaus. Dies geschehe, seit menschenwürdige Pflege in der eigenen Wohnung mit der Möglichkeit gekoppelt wurde, auf eine Palliativ-Station zu gehen – um dort immer dann behandelt zu werden, wenn die tödliche Krankheit eine neue, unangenehme Wendung nehme, wie Krämpfe, Atemnot oder neue Schmerzen, Schmerzen, Schmerzen. ede