Eine Horde von Winnern auf Platz 314

■ „Top Dogs“: Urs Widmers Demontage der Glamourwelt des Big-Business hatte Premiere im Schauspielhaus

Aus Boulevardblättern erfuhren wir schon vor langem zu unserer großen Erleichterung, daß auch strahlende Erscheinungen wie Lady Di, Prinzessin Caroline, Stefan Effenberg und George Michael aufs grausamste zu leiden haben unter Sex-, Selbstwert- und Gewichtsproblemen. Urs Widmers „Top Dog“ klärt uns nun darüber auf, daß auch jene fremdartige Wesen nichts als Windeier sind, die mit zusammengekniffenen Adleraugen aus „Manager“-Magazin, „Capital“ und „Wirtschaftswoche“ herauslugen, immer selbstbewußt ihre Arme verschränkt halten und zufällig vom Zeitugsfotografen gerade vor ihrem wertvollen Pollock- oder Warholgemälde abgepaßt werden.

Auf der zwischen Arztpraxis-Wartezimmer und Nasa-Schaltzentrale chanchierenden Riesenbühne des Schauspielhauses verlieren sich acht Träger von Macht, Ein- und Zweireihern. Ihre Kluft ist grau. Wie diese grau-grausame Existenz der grauen Wirtschaftseminenzen aussieht, will uns Widmer zeigen. Dazu paßt er seine Protagonisten im schwärzesten Moment ihrer Erwerbsbiografie ab. Die acht 300.000-Netto/Jahr-Manager wurden gerade entlassen. Eine sogenannte Outplacement-Agentur soll ihnen für 30.000 Mark Vermittlungsgebühr einen neuen, standesgemäßen Job verpassen. Im Unterschied zu arbeitslosen Normalbürgern läßt man wegrationalisierte Manager heute nämlich nicht mehr hilflos im unerwünschten Freizeitmeer absaufen. Zum Zweck der Arbeitsfindung müssen Herz, Hirn und Haltung einem Reengeneering unterzogen werden.

Dabei zeigt Widmer zwei Dinge: Auch die vermeintlichen Entscheidungsträger und Strippenzieher baumeln als Marionetten an den Fäden von unfeinen Dingen wie dem Boß oder dem Shareholder Value. Und wenn sie aus dem Spiel erst einmal ausgeschieden sind müssen sie kriechen, um den Zugang zu einer neuen Runde zu erhalten. Dann wird den vermeintlichen Charakterköpfen eine angepaßte Stromlinienförmigkeit abverlangt, wie sie der allerletzte Fließbandarbeiter nicht aufbringen muß: „Mittelgroße Schritte, Blick geradeaus gegen Horizont“. Da geht ein schadenfrohes Lachen durchs Publikum. Ein Sportabteilungsleiter war gerade mal 314. der ATP-Tennisweltrangliste; „ich war immer ein winner-Typ“ – Lachen. Ein anderer glüht vor Stolz, weil dank seines Genies „das Catering stabil ist“ bei der Lufthansa – Lachen.

Eben orderte Gerhard Schröder sein neues Dienstauto. Natürlich einen Audi. Schließlich wollen sich heute immer weniger Showmen durch Benz oder BMW die Blöße allzu offensichtlichen Protzens geben. Doch an was geilt sich Widmers Herr Sodann auf? An einem 911-Porsche, außen schwarz, innen rot, klassisches Zuhälterauto. Dabei fährt selbst die Inkarnation des stillosen Neureichen, der Zahnarzt aus einer Schrobenhausener Bauernfamilie, seinen Porsche außen nachtblau, innen cognacfarben. Doch Widmer setzt lieber auf Klischees. „Gutes Kabarett“, flüstert eine Zuschauerin. Als solches kann man „Top dogs“ gelten lassen, auch dann, wenn selbst der blödeste Scientology-Managerlehrgang sich nicht wie Widmers Outplacement-Agentur in Körpersprachreformen (“Kopf hoch, als wären sie an einem Faden im Himmel aufgehängt“) erschöpft; auch dann, wenn Boß-Untergebenen-Verhältnisse in der Regel sehr viel fragiler funktionieren als Widmers verachtende Bosse und hassende Untergebenen. Immerhin ist „Top Dogs“ vermutlich das erste Theaterstück, das die Mechanismen von beruflichem Erfolg und Niederlage analysiert. Außerdem wurde Widmer für Delirantes wie „Das enge Land“ gerügt, für die simple Narration des „Kongreß der Paläoleptidopterologen“ dagegen gerühmt.

Lehrstückartig ist auch der Aufbau der Gruselkomödie. Zunächst tönt es aus stolzgeschwellten Brüsten, daß eine poplige Entlassung ein hartgesottenes Managerego nicht zur Strecke bringen kann. Doch schon beim zweiten Monologdurchgang outen sich die Hunde als Elendshäufchen, vollgepumpt mit Schlaftabletten, Zukunftsängsten, Hämorrhoiden und Aggressionen. Beim dritten Durchlauf erfährt man von ihren Träumen: Einer will den Chef killen, ein anderer die hochhackige Blode aus der Campariwerbung, eine dritte endlich die heißersehnte Anerkennung der übermächtigen Mama. Im vierten Set werden alle Managerängste und -wünsche zurückgeführt auf Archetyen: Alles bewegt sich irgendwo zwischen Hans-im-Glück-Weltvertrauen, Schlaraffenland-Sehnsucht und Fischer-und-seine-Fruh-Nimmersattheit. Durch eine martialische Kampfszene mit hölzernen Zeigestäben erklärt dann die Regie von Christina Paulhofer allen beruflichen Ehrgeiz als Wurmfortsatz von Darwins Struggle of Survival. „Der Markt ist ein Schlachtfeld, Handel ist Krieg“, doziert Widmer durch einen Top-dog-Mund.

Fragt sich nur, warum die Welt auf die schalen Insignien der Macht hereinfällt. Eine Antwort geben am ehesten die Schauspieler Dirk Plönissen und Irene Kleinschmidt. Sie lösen sich vom 1984-Retortenmensch-Schema. Sie zeigen zwar die Unsicherheit unterm edlen Stoff, sie zeigen aber auch, daß Macht den Menschen tatsächlich zu Charme und Selbstbewußtsein verhelfen kann. Barbara Kern