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■ berlin spinntBerliner Schauseite

Neulich war ich bei einer Buchpräsentation im Osten Berlins. Da es sich um ein Buch über Modefotografie in der DDR handelte, waren neben Moderedakteurinnen viele ehemalige Models gekommen. Eine gewaltige Traube soignierter Damen am Beginn ihrer zweiten Lebenshälfte schob sich durch die Räume. Alle sehr dezent gewandet. Nur eine Mittfünfzigerin hatte die undankbare Aufgabe übernommen, anhand eines türkisfarbenen Fünfziger-Jahre-Originals vorzuführen, daß eine gestandene Frau auch vierzig Jahre später noch ihre Teenagerkleidung tragen kann, daß es ihr aber kaum gelingt, noch das passende Gesicht dazu zu machen.

Bussi links, Bussi rechts – man hätte sich ebensogut in München oder Hamburg wähnen können. Irritierend war nur, daß alle mit Blumen kamen – und zwar nicht mit ausladenden Gebinden, sondern mit regelrecht mickrigen kleinen Sträußchen. Jede kleine Blüte schien zu schreien: Ich bin nur eine kleine Aufmerksamkeit! Besonders en vogue: drei unterschiedlich lange Gerbera mit etwas Blumendraht um ein Stückchen Holz gewunden. Eine wunderliche Art von Ikebana, die garantiert in keine Vase paßt, die man aber wahrscheinlich prima in der Badewanne aufbewahren kann.

Am Samstag dann geriet ich bei der Suche nach einem Geburtstagsblumenstrauß in einen zirzensischen Blumenladen. In Anbetracht der scheußlichen Jahreszeit sahen die Blumen auf der linken Seite des Ladens noch ganz manierlich aus: Rosen in einem welk wirkenden Gelb, letzte Sonnenblumen, pudrig bestäubte Gerbera. Was mir freilich zu denken gab, waren die fertig gebundenen Sträuße auf der rechten Ladenseite. Warum sah alles so nach Tombola aus?

Ich wollte mich gerade verdrücken, da erschien die Floristin und fragte mit herrlich polnischem Akzent: „Biittä schän?“ Nun ja, ein Strauß so um die fünfundzwanzig Mark, vielleicht mit den gelben Rosen hier? „Odär eins von den fertigän Sträußschän?“ Ach nein. „Gutt. Mit viele Gräser und Blätter, eine hibsche Strauß!“ Nein, nein, bloß nicht zuviel Grün. Ein Schlag in Madames Gesicht. Trotzdem begann sie mit ihrer Floristinnenshow. Jeder Blütenstengel wurde einzeln und mit so viel Schwung aus seinem Kübel gezurrt, daß er leicht surrend durch die Luft flog, bevor er mit der gleichen Hand wieder aufgeschnappt und in Positur gebracht wurde. Binnen zwei Minuten war ein ansehnlicher Strauß entstanden. „Und nun Gräser!“ In drei Teufels Namen. Der Strauß wurde immer üppiger. „Schän?“ Ja doch.

Der Clou aber kam noch: Als Finish nämlich zupfte die Floristin unten an den Stengeln herum, wodurch die Rosen auf der einen Seite viel kürzer wurden als auf der anderen. Wie häßlich, eine Schauseite! Da fiel es kaum noch ins Gewicht, daß die Floristin zum Schluß nach einer riesigen Spraydose griff und die Blätter und Gräser so lange einnebelte, bis sie vor lauter Glanz genauso tot aussahen wie die Tombolagewinne aus der rechten Ladenhälfte.

Ein wenig Angst hatte ich ja vor der Konfrontation mit dem Geburtstagskind. Doch dann sah ich den altarartig geschmückten Gabentisch: zehn Sträuße, alle mit Berliner Schauseite. Das nächste Mal nehme ich auch Holz mit Gerbera. Reinhard Krause

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