Rassisten in Rußland auf dem Vormarsch

Antisemitische Hetze ist im russischen Parlament mehrheitsfähig. Nur unter Druck verurteilten die Abgeordneten der Duma die Ausfälle eines kommunistischen Kollegen in einer allgemeinen Resolution  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

„Die Abstimmung wird nichts daran ändern, daß viele ungestraft den Juden die Schuld an Rußlands mißlicher Lage in die Schuhe schieben“, meinte der Dumaabgeordnete und einst umschwärmte Schnulzensänger jüdischer Herkunft, Josif Kobson. Das russische Parlament verabschiedete gestern eine Resolution, in der Antisemitismus und Rassenhetze nun doch verurteilt werden. Die Mehrheit der Abgeordneten dürfte sich indes nur widerwillig dem Druck des Parlamentspräsidiums und der späten Einsicht der Führung der Kommunistischen Partei (KPRF) gebeugt haben.

Erst letzte Woche vereitelte die Mehrheit der rot-braunen Parlamentarier einen Versuch gemäßigter Kräfte, den kommunistischen Abgeordneten und Mitglied des ZK, General Albert Makaschow, wegen antisemitischer Hetze zur Rechenschaft zu ziehen. Makaschow hatte öffentlich aufgerufen, „Juden zu jagen“, zu verprügeln und ins Gefängnis zu stecken. Im Falle seines Todes, geiferte der Rassist, würden „zehn von diesen Jidden aus Rache in den Tod befördert“. Danach versprach er ein judenfreies Rußland.

Von den 450 Dumaabgeordneten hielten letzte Woche lediglich 107 Sanktionen gegen den notorischen Aufwiegler und Meuterer vom Herbst 1993 für gerechtfertigt. Die Kommunisten werteten die Zurückhaltung der Kollegen aus anderen Fraktionen als Beweis, daß sie die untergründige Stimmung recht gut ausgelotet hatten. Der Empörung in den Medien begegnete Moskaus KP-Chef Alexander Kuwajew mit der Forderung, führende jüdische Fernsehjournalisten zu Volksfeinden zu erklären und vor deren Wohnungen zu demonstrieren. Der Abgeordnete Gennadi Benow warnte indes vor dem „Zionismus, der gefährlicher ist als der Faschismus, weil er von den Flanken her heimlich und verstohlen operiert“.

Die Kommunisten haben nie damit hinterm Berg gehalten, daß sie die eine Million jüdischer Bürger, die noch nicht emigriert ist, in Führungspositionen in Politik und Wirtschaft für überproportional vertreten hält. „In der Regierung gibt es nur einen Russen, und das ist der Fahrer“, ereiferte sich Makaschow. In Umfragen des angesehenen Instituts VZIOM sprachen sich 64 Prozent der Befragten gegen die mögliche Präsidentschaft eines jüdischen Kandidaten aus und nur 30 Prozent hielten es für geboten, Makaschow wegen seiner Hetze strafrechtlich zu belangen. Andererseits befürworteten auch fast zwei Drittel, jüdische Bürger gesetzlich vor Rassenhaß zu schützen. Ist Antisemitismus in Rußland verbreiteter als in anderen Gesellschaften? Auf den ersten Blick scheint es so.

In der russischen Geschichte war Antisemitismus mehrfach Bestandteil der Staatsdoktrin. Der Zarismus verweigerte den Juden bis zu seinem Niedergang die Bürgerrechte. Während der Stalinzeit wurden antisemitische Kampagnen gestartet. Zuletzt in den 50er Jahren gegen jüdische Ärzte. In der Breschnewzeit hatten Juden indes nicht mehr unter Gewaltmaßnahmen zu leiden. Statt dessen ersann die Partei alle möglichen Hindernisse, um jüdische Bürger von renommierten höheren Lehranstalten fernzuhalten. Das gleiche galt für Armee und Geheimdienst.

„Es gibt keine offizielle Politik der Diskriminierung, dennoch lebt in den Reihen des KGB eine schmerzliche Tradition des Antisemitismus fort“, meint Konstantin Preobraschenski. Der ehemalige KGB-Offizier befürchtet, die Hetzkampagne der Kommunisten könnte sogar bald beim jetzigen Geheimdienst auf eilfertige Helfer stoßen.

Bis heute kann sich die Nachfolgeorganisation FSB nicht damit abfinden, daß die Gründer der berüchtigten Terrororganisation, Trotzki und Swerdlow, jüdischer Herkunft waren, ebenso wie der erste Chef der politischen Polizei, Felix Dserschinski. Dahinter verberge sich, so der Soziologe Leonid Gudkow, ein Minderwertigkeitsgefühl, das auch den immensen jüdischen Beitrag zur Modernisierung der UdSSR am liebsten leugnen würde.

Besonders ausgeprägt ist die Ablehnung alles Jüdischen in rückständigen ländlichen Schichten, die unter einem Antimodernisierungssyndrom leiden. Anfällig für Antisemitismus sind jedoch auch Wissenschaftler, Studenten und Unternehmer. Offenkundig sind sie der Konkurrenz hochqualifizierter jüdischer Mitbürger ausgesetzt.

Rußland hat gerade mal rudimentäre Ansätze einer zivilen Gesellschaft entwickelt. Konflikte werden nicht in Verfahren ausgetragen oder in Diskussionen erörtert und geschlichtet. Das fördert den Eindruck, Konflikte drohten jederzeit sofort zu eskalieren. Die Jüdische Gemeinde in Moskau kommentiert die jüngsten Ereignisse denn auch vorsichtig. Rabbi Derl Lasar sieht keinen Grund, beunruhigt zu sein: „In Rußland ist der Antisemitismus nicht stärker als anderswo“, meint der aus den USA stammende Geistliche. Er fühle sich in einigen westlichen Ländern sogar eher bedroht.

Auch Pressesprecher Baruch Gorin hält die kommunistische Kampagne für ein Ablenkungsmanöver im ungeschlachten russischen Politstil, in dem die Juden nur das Reizwort liefern. „Das Thema übersteigt die jüdische Frage.“ Vielmehr kläre die KP mit Blick auf die anstehenden Wahlen, ob sie sich als Sammelbecken für alle extremen Elemente öffnen oder eher einen gemäßigten Weg einschlagen soll. Statt dessen wirft Gorin Staat, Regierung und Justizapparat vor, zu schwerfällig und unentschlossen zu reagieren.

Die Strafverfolgungsbehörden scheinen die Angelegenheit in der Tat bewußt zu verschleppen. Präsident Jelzin schaltete sich gestern ein und forderte die Regierung auf, dem „nationalen und politischen Extremismus ein Ende zu bereiten“. Doch ob der Appell von Erfolg gekrönt sein wird, wenn sogar der Pressechef Masljukows, des ersten Vizepremiers, zu den häufigeren Autoren des antisemitischen Schmierblattes Sawtra gehört?