Gewinnsüchtig irrlichternde Mark

Die Koalition ignoriert das Problem Steuerhinterziehung. Dabei geht es um viel höhere Beträge, als für die Gegenfinanzierung der Steuerentlastung nötig wären  ■ Von Werner Rügemer

Köln (taz) – So oft Rot-Grün auch über die Steuerreform diskutierte – die Vokabeln Steuerhinterziehung und Steuerumgehung tauchten weder in der jüngsten Bundestagsdebatte über das Steuergesetz noch im rot-grünen Koalitionsvertrag auf. Vergebens sucht man einen Hinweis darauf, wie die Regierung sie künftig zu bekämpfen plant. Und das, obwohl es um wesentlich höhere Beträge geht als die, die für die mühsame Gegenfinanzierung der Steuerentlastungen notwendig sind.

In den letzten Jahren der Kohl- Regierung ist so viel über Steuerhinterziehung diskutiert worden, daß sich leicht eine umfangreiche „Giftliste“ derartiger Schlupflöcher aufstellen läßt. Und seit die Steuerfahnder 1994 begonnen haben, Privat- und Geschäftsbanken, Sparkassen und öffentlich-rechtliche Landesbanken zu durchsuchen, ist ziemlich genau abschätzbar, wer unter den vermögenden Deutschen potentiell in Betracht kommt, sich an Hinterziehungen beteiligt zu haben.

Allein seit Anfang der 90er Jahre sind knapp eine Billion Mark in den traditionellen Finanzoasen Luxemburg, Schweiz, Liechtenstein und Österreich angelegt worden. Die Erträge von jährlich schätzungsweise 60 Milliarden Mark werden nur etwa zu einem Fünftel vorschriftsgemäß dem deutschen Finanzamt erklärt. Selbst wenn man voraussetzt, daß nur ein Steuersatz von 30 Prozent zu zahlen wäre, dann gehen durch den unversteuerten Rest dem deutschen Fiskus etwa 15 Milliarden jährlich verloren.

Das sind mehr als die elf Milliarden Mark, die für die Gegenfinanzierung der ersten Stufe der ökologischen Steuerreform notwendig sind. Dabei kann niemand behaupten, daß die auf den Weltfinanzmärkten gewinnsüchtig irrlichternde Billion Deutsche Mark dazu beiträgt, in Deutschland auch nur einen einzigen Arbeitsplatz zu schaffen.

Trotz Steuerfahndung und etwa 20.000 Selbstanzeigen ängstlicher Steuerhinterzieher gehen die Geldanlagen in den Finanzoasen weiter. Die Geschäfte der deutschen Bankentöchter und der anderen Banken in Luxemburg, der Schweiz und auf den Cayman Islands haben auch 1998 kräftig expandiert. Neue Filialen auf der Isle of Man und auf den steuerbefreiten Kanalinseln Jersey, Guernsey und Sark sind dazugekommen.

Dazu kommen noch zahlreiche legale Steuertricks, die beispielsweise in den sogenannten „Doppelbesteuerungsabkommen“ versteckt sind, die mit 110 anderen Staaten bestehen und eine doppelte Besteuerung von Einkommen verhindern sollen. In aller Stille hat die Kohl-Regierung hier zahlreiche Schlupflöcher eingebaut. Das zwischen Deutschland und den Niederlanden 1991 erneuterte Doppelbesteuerungsabkommen beispielsweise legt fest, daß die Erträge aus holländischen Immobilien (Hotels, Büros, Wohnungen, Altenheime, Freizeitzentren) nur in den Niederlanden versteuert werden, auch für Anleger aus Deutschland. Die Steuer ist dort extrem niedrig: nur 7,1 Prozent.

Und wenn man die Freibeträge bis 8.000 Mark pro Jahr und Person ausnutzt (Überschreibung auf Ehefrau, Tante, Kinder und Tarnfirmen) und die Geldanlage auf verschiedene Immobilienfonds aufsplittet, kann man leicht an den Nullsteuersatz herankommen.

Dasselbe gilt für Holländer, die ihr Geld in deutschen Immobilien anlegen. Das hat zur Folge, daß heute viele deutsche Investmentfonds Immobilien in Rotterdam und Amsterdam besitzen und im Gegenzug viele holländische Investmentfonds Immobilien in Düsseldorf und München betreiben. Einziger Effekt: Beiden Staaten gehen Steuern verloren, kein einziger Arbeitsplatz wird geschaffen.

Nach jahrelangen Vorarbeiten haben die EU-Finanzminister im Dezember 1997 und im Mai 1998 daher zwei Vorschläge zur Steuerharmonisierung beschlossen. Damit soll erstens dem ruinösen Dumping zwischen den EU-Mitgliedsstaaten bei der Unternehmensbesteuerung Einhalt geboten werden. Dabei nämlich erleiden die Staaten Steuerausfälle, die wesentlich höher sind als bei den privaten Geldanlagen im Ausland.

Zu den Dumpingmethoden gehören solche Konstrukte wie das International Finance and Service Center (IFSC) in Dublin und das Coordination Center (CC) in Belgien. Über solche mehr oder weniger fiktiven Firmensitze können Unternehmen eines anderen Landes Steuern umgehen. Zweitens wollten die EU-Finanzminister der Steuerhinterziehung bei Privatpersonen einen Riegel vorschieben, und zwar durch Einführung einer Quellensteuer von 20 Prozent. EU-Finanzkommissar Mario Monti hat zur Begründung immer den Zusammenhang zwischen Steuern und Arbeitsplätzen hergestellt: „Durch Steuerwettbewerb und Steuerflucht sinkt die Besteuerung des Kapitals. Die EU-Mitgliedsstaaten versuchen, dies durch höhere Lohnsteuern und höhere Sozialabgaben auszugleichen. Das verteuert die Arbeit und macht es noch schwerer, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.“

Es war geplant, daß unter der deutschen EU-Präsidentschaft ab 1. Januar 1999 diese Vorschläge endgültig verabschiedet werden. Sie entsprechen den erklärten Zielen der rot-grünen Koalition. Diese aber schweigt.