Schöngesang der vokalen Provinz

Überraschend einfallslos: „Lucia de Lammermoor“ an der Staatsoper  ■ Von Stefan Siegert

Sparsamkeit ist eine Zier, sagt man. Bei der Neuinszenierung von Donizettis Lucia di Lammermoor an der Hamburger Staatsoper wäre man allerdings weiter gekommen ohne sie. So aber markiert die Premiere des Opernschlagers am Sonntag einen Tiefpunkt der neuen Ära im Haus an der Dammtorstraße. Daß ausgerechnet Regisseur Oliver Tambosi, dessen Hamburger Jenufa zu den echten Pluspunkten einer bisher sehr positiven Bilanz der neuen Ära gehörte, zur Lucia nichts eingefallen ist, zählt zu den traurigen Rätseln menschlicher Kreativität.

Rätselhaft, wie ein mit so viel Witz und Intelligenz begabter Mensch wie Tambosi den romantischen Groschenroman der Lucia mit ihrem – gesanglich herrlich ertragreichen – Insistieren auf selbstverschuldetem Herzeleid eins zu eins und so gut wie unkommentiert auf die Bühne bringt. Das bißchen Symbolik in Form einer Spielzeug-Ritterburg, Sinnbild der die arme Titelheldin erdrückenden dynastischen Tyrannei ihres Bruders, war im Wortsinn deplaziert: Das Teil stand während neunzig Prozent der Handlungszeit sinnlos auf der Bühne herum. Und auch die bunkerähnlichen Bühnenräume mit ihrem wiederum rätselhaften Drang zur Zentralperspektive, die sich rumpelnd und ohne erkennbaren Sinn dauernd wandelten, möbelten die Bewegungsfreiheit des Chors und der Sänger eher zu, als daß sie den Abstand eines Zeitgenossen der Jahrtausendwende zu den neurotischen Ergüssen der Lucia-Handlung irgend deutlich gemacht hätten.

All das hätte auch mit weniger Geld gut gemacht sein können. Die Sänger aber – und da hat Hamburg, nicht erst nach dem in dieser Hinsicht luxuriös ausgestatteten Wozzek, einen Ruf zu verlieren – hatten ganz ohrensichtlich ein Gagen-Niveau, auf dem man kaum mehr als vokale Provinz erwarten darf. Einzig Simon Yang als Raimondo und, mit Einschränkungen wegen einer Viruserkrankung, Wolfgang Rauch als Enrico wurden dem Anspuch annähernd gerecht, den man an die Gesangsleistungen in einem Haus dieser Güteklasse haben muß.

Das ist schlimm bei einer Oper, die eben außer hinreißendem Schöngesang nichts zu bieten hat. Es ist besonders schlimm bei einer Titelheldin, deren Partie eigentlich nur aus Belcanto-Wagstücken besteht. Die Lucia Guisy Devinus aber wagte sich in keiner ihrer vokalzirzensischen Glanznummern wirklich auf's Seil. Und tat sie es doch einmal, trat sie prompt daneben und stürzte ab. Freilich: Nicht, daß die Sopranistin aus Italien nicht besser singt als sie kann, ist bedenklich. Sondern, daß für eine Inszenierung der Staatsoper eine Sängerin dieses Niveaus verpflichtet wurde. Sparsamkeit ist eine Zier. Kommt man aber mit ihr nicht weiter, sollte man gelegentlich lieber verzichten.