Der Heilige Krieg religiöser Desperados

Ein Jahr nach dem Massaker an 58 Touristen in Luxor sind Ägyptens militante Islamisten gespalten. Die inhaftierte Führung will einen Waffenstillstand, unversöhnliche Untergrundkämpfer lehnen dies ab  ■ Aus Kairo Karim El-Gawhary

„Die Schießerei dauerte und dauerte. Mal näher, mal ferner, und nirgends war der Klang einer Polizeisirene zu hören. Nur die Schreie hielten unvermindert an.“ Die Ereignisse vor dem Hatschepsut-Tempel im ägyptischen Luxor am 17. November vergangenen Jahres sind dem Schweizer Augenzeugen Felix Müller unvergessen. Als er sich aus seinem Versteck wagte, stolpert er beinahe über einen Berg von Leichen, „eine Gruppe deutscher Touristen, die sich in Todesangst aufeinandergestürzt haben und niedergemäht wurden“. Am Ende des Gemetzels hatten 58 Touristen, vier Ägypter und die sechs Attentäter ihr Leben gelassen.

Der Anschlag von Luxor war das bisher blutigste Attentat im seit sieben Jahren andauernden Konflikt zwischen der ägyptischen Regierung und militanten Islamisten. Doch ein Jahr danach haben sich die Fronten in dem Krieg, der bisher mehr als 1.300 Todesopfer forderte, beruhigt. Seit Januar starben 40 Menschen, meist bei Polizeirazzien und den folgenden Racheaktionen der Islamisten.

Die militanten Islamisten wurden in die Ecke gedrängt. Während noch vor einigen Jahren die zwei großen militanten Gruppen, „Gamaa islamia“ (Islamische Gruppe) und „Gihad“ (Heiliger Krieg) erfolgreich neue Mitglieder rekrutierten und kleinere Moscheen übernahmen, ist heute nur noch wenig von ihnen zu spüren. „Sie haben die öffentliche Meinung mit ihren Anschlägen auf Touristen gegen sich aufgebracht. Die meisten Kader haben sich aufgelöst, und die militärisch und politisch fähigsten Mitglieder sind entweder im Gefängnis oder tot“, glaubt der Politologe Muhammad Said Sayyid, vom Al-Ahram-Zentrum für Strategische Studien.

Aber Luxor hat auch bewiesen, daß eine in die Ecke gedrängte, zerstrittene Bewegung ohne fähigen Führungskader eine unberechenbare Gefahr bildet. Mindestens vier Strömungen sind inzwischen bekannt: Die alte historische Führung, die für den Anschlag auf den früheren ägyptischen Präsidenten Anwar as-Sadat im Gefängnis sitzt, die politischen Kader im europäischen Exil, die militärische Führung, die von Afghanistan aus operiert, und mehrere, teils in Afghanistan ausgebildete Kader, die sich in Ägypten verstecken. Die Spaltung wurde öffentlich, als die historische Führung der Gamaa Islamia im Sommer 1997 aus dem Gefängnis einen einseitigen Waffenstillstand vorschlug. Die Kader im europäischen und afghanischen Exil lehnten die Initiative ab. Ihre Antwort war das Massaker von Luxor.

Seither hat die historische Führung an Zuspruch gewonnen. Die Mehrheit der europäischen Kader unterstüzt ihr Waffenstillstandsangebot. In der arabischen Presse ist von einem „neuen Arbeitsplan der Militanten“ die Rede, „um ihre Strategie den neuen Verhältnissen anzupassen“. Die „europäische Linie“ wurde durch eine 500 Seiten umfassende Studie mit dem Titel „Regeln des Islamischen Rechts zum Töten von Zivilisten“ unterstrichen. Darin erklärt Muhammad Muchtar Mustafa, einer der Berater der Gamaa Islamia in religiösen Fragen, daß der Islam die Ermordung von Zivilisten und Touristen verbiete.

Doch während die historische Führung die Waffenstillstands-Initiative wiederbeleben will, erweisen sich die beiden anderen Strömungen als große Unbekannte. Die militärische Führung in Afghanistan lehnt den Waffenstillstand ab, und die Kader auf der Flucht in Ägypten sind weiterhin unberechenbar.

Die Führung der militanten ägyptischen Islamisten in Afghanistan versucht, sich international zu profilieren. Im vergangenen Februar verbündeten sie sich mit dem berüchtigten Ussama Bin Laden zur „Islamischen Front zur Bekämpfung von Juden und Kreuzfahrern“. Während sich die Gamaa Islamia kurz vor den Anschlägen auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania im Sommer angeblich wieder ausklinkte, outete sich der Chef der ägyptischen Gihad- Gruppe, Aiman Sawahiri, als rechte Hand Bin Ladens. Nach den US-Luftangriffen in Afghanistan und Sudan im August rief die Gamaa Islamia dazu auf, „die US- Verbrechen zu bestrafen“.

Die Regierung in Kairo lehnt das Waffenstillstandsangebot bisher offiziell ab. „Es wird keinen Dialog mit Blinden und Tauben geben“, erklärte Präsident Husni Mubarak. Indirekt setzt die Regierung jedoch auf Deeskalation. Massenverhaftungen gehören seit dem Amtsantritt des neuen Innenministers Habib al-Adli, wenige Tage nach dem Anschlag in Luxor, nicht mehr zur Tagesordnung. Muhammad Saraa, Chef des „Ägyptischen Zentrums zur Unterstützung Gefangener“, schätzt, daß dieses Jahr über 3.000 Sympathisanten der Militanten freigelassen wurden. Sie mußten versprechen, sich nicht mit Militanten zu treffen und nicht in von Militanten kontrollierten Moscheen zu beten.

„Die Regierung hat erkannt, welche enorme Gefahr von einer zersplitterten, unkontrollierbaren Bewegung ausgeht“, sagt Gasser Abdel Rasik, vom Kairoer Zentrum für Menschenrechte und Rechtsberatung. Die Regierung habe sich zu den Freilassungen entschlossen, um der historischen Führung der Militanten wieder mehr Gewicht zu verleihen. Sie hoffe, daß diese moderatere Gruppe langfristig wieder die Kontrolle über die gesamte Bewegung ausüben könne.

Trotz der verhältnismäßigen Ruhe sind weitere Anschläge nicht auszuschließen. „Eine Verzweiflungsaktion ist immer möglich“, sagt Sayyid. Eine solche Bewegung könne nicht vollkommen ausgeschaltet werden. Viel hängt nun davon ab, ob die Militanten wieder Ordnung in ihrer Ränge bringen können und so die unklare Situation beenden. „Wir werden sehen“, sagt Abdel Rasik. „Unsere Fragen werden nur endgültig beantwortet, wenn es erneut einen spektakulären Anschlag gibt oder aber eine gemeinsame Waffenstillstandsinitiative, die von allen Strömungen der Militanten unterschrieben ist.“