„Algeriens Texas“ wird privatisiert

Die Verstaatlichung der algerischen Öls war nach der Revolution nationale Aufgabe. Jetzt beuten wieder ausländische Firmen die Vorkommen aus  ■  Aus Hassi Messaud Reiner Wandler

Der Werksbus fliegt um 9 Uhr in Algier ab. Die vom algerischen Ölkonzern Sonatrach gecharterte Boing 737 läßt schon bald den fruchtbaren Küstenstreifen und das Atlasgebirge hinter sich. Dann beginnt die Sahara. Nach knapp einer Stunde tauchen die Erdölfelder von Hassi Messaud auf: ein wirres Netz aus Straßen, Pipelines, Industrieanlagen und Wohnkomplexen. Dazwischen der Flughafen, nach dem Airport der Hauptstadt Algier der zweitgrößte des Landes.

„Das ist unser Texas“, begrüßt Firmensprecher Hakkim Budiaf die Gäste. Über 2.000 Quadratkilometer erstrecken sich die Ölfelder von Hassi Messaud. 960 Ölbrunnen gibt es hier, 525 sind derzeit in Betrieb. In zwei Industriekomplexen wird das Rohöl weiterverarbeitet. Über ein Pipelinesystem geht es dann 25 Kilometer nach Norden ins Hauptlager von Haud al-Hamra. In der Anlage kommen täglich aus allen algerischen Förderstellen insgesamt 390.000 Tonnen Öl zusammen, darunter 50.000 aus Hassi Messaud. Von dort führen Rohre in die wichtigsten Häfen. Nach den USA sind Deutschland, Italien und Frankreich die größten Ölkunden des nordafrikanischen Landes.

Der beschleunigte Ausbau des Öl- und Erdgassektors begann mit der Wirtschaftskrise Algeriens Anfang der 90er Jahre. Die Staatskassen waren leer, 86 Prozent der Einkünfte aus dem Öl- und Gasexport flossen direkt in die Zinszahlungen für die 35 Milliarden Dollar Auslandsschulden. Der Internationale Währungsfonds leitete einen Umschuldungsprozeß ein.

Die einzige Einnahmequelle, Öl und Gas, mußte schleunigst ausgebaut werden. Ab 1993 wurden wieder verstärkt ausländische Investoren zugelassen. Die Epoche der Nationalisierung, die 1971 neun Jahre nach der Unabhängigkeit die Erdölindustrie aus französischem Besitz in algerische Staatshand überführte, ging damit zu Ende. Das ganze Staatsgebiet wurde am Reißbrett in Claims aufgeteilt: Wer will und das nötige Kapital mitbringt, kann einen Claim erwerben und nach Öl und Gas suchen. Die italienische Agip, die spanische Repsol, die US-amerikanischen Mobil oder Exxon sind nur die bekanntesten Firmen, die an der algerisch-libyschen Grenze neue Ölvorkommen erschließen.

1995 unterzeichnete Sonatrach mit British Petroleum einen „Jahrhundertvertrag“. BP erschließt in Insalah, 500 Kilometer südwestlich von Hassi Messaud auf 23.000 Quadratkilometern neue Erdgasvorkommen. Bis zum Jahr 2010 wollen die Briten 3,6 Milliarden Dollar in Algerien investieren und auf diese Weise die Weltproduktion an Gas um 30 Prozent anheben.

Fast der gesamte algerische Export besteht aus Öl und Gas: Rund 35 Prozent für insgesamt 14 Milliarden Dollar sind Erdölprodukte, weitere 60 Prozent Gas. Damit deckt das Land seinen gesamten Importbedarf und zahlt sogar wieder Schulden ab. Nur fünf Jahre nach dem Beinahe-Staatsbankrott sind die Devisenvorräte auf neun Milliarden Dollar angewachsen.

Bei den Angestellten der Sonatrach, die mit der Nationalisierung der Erdölindustrie als „wichtigste Errungenschaft der Unabhängigkeit“ aufwuchsen, stößt die Reprivatisierung der Ressourcen auf keinen Widerspruch. „Wir haben doch gar nicht die finanziellen Möglichkeiten, alles allein auszubeuten“, sagt Bohrmeister Abdesalam Sidani. Die Vertragsbedingungen, wonach die ausländischen Investoren die Hälfte der Gewinne aus den gefundenen Gas- und Ölvorräte einstecken und die andere Hälfte an Sonatrach geht, nennt er „ein rundes Geschäft“, denn „hier gibt es genug für alle“.

Den ältesten Ölbrunnen Algeriens, der MD 1, öffneten die Franzosen 1956. Er liegt direkt neben der Stadt Hassi Messaud. 40.000 Einwohner zählen die öden Wohnblocks und die monotone Siedlung aus 1.800 identischen Einfamilienhäuschen mit Vorgärten heute. Vor dem Ölboom gab es hier nichts weiter als einen Polizeiposten, ein Kaffeehaus und eine Wasserstelle, die Normaden zur Rast lud.

Über der Stadt liegt eine riesige schwarze Rauchsäule. Sie stammt aus einer der beiden Raffinerien, wo überflüssiges Gas abgefackelt wird. Der Smog stört keinen, ist es doch der Wohlstand, der die Sonne verdunkelt. „Hotel Petrolier“, „Druckerei Fackel“ – die Menschen hier wissen, wem sie Ein- und Auskommen verdanken. 90 Prozent der aktiven Bevölkerung des Ortes arbeitet bei Sonatrach oder einem der Zulieferer. Im Konzern verdient man im Schnitt das Doppelte wie bei anderen Firmen in Algerien.

Den Bürgerkrieg, der im Rest Algeriens tobt, spürt man hier nicht. Die Ölfelder mit ihren Siedlungen und Industrieanlagen sind weiträumig von der Armee abgesperrt. Wer in die Region reisen will, braucht ein Visum. Eine ständige Aufenthaltsgenehmigung ist ohne Arbeitsvertrag nicht zu bekommen. In Hassi Messaud herrscht damit Vollbeschäftigung, während im restlichen Algerien die Erwerbslosigkeit auf 30 Prozent gestiegen ist.

In künstlich angelegten Palmenhainen liegen zwei Wohnbasen für mittlere und höhere Angestellte, die ohne Familie gekommen sind. Sie arbeiten vier Wochen und fliegen dann drei Wochen zur Erholung nach Hause. Von der Moschee über Schwimmbad, Tennisplatz und Kino gibt es alles, was ein Dorf braucht. Auch ausländische Bedienstete und Gäste werden hier einquartiert, unter ihnen zwei kanadische Geschäftsleute. Sie wollen weder ihren Namen noch den ihres Unternehmens verraten. „Unsere Reise war erfolgreich. Wir werden wiederkommen“, versichern sie, bevor sie ein Kleinbus zum Werksflug zurück nach Algier bringt.